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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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meine Vorräte auch durch den Winter gebracht hatten, hatte ich doch viel Gewicht verloren … Und zwischen diesen mageren Gerippen stand ein kleiner, dicker, wohlgenährter Theramenes, der sich wieder alle Mühe geben musste, sein Gesicht in gramvolle Falten zu legen. Lysander und die Ephoren hatten diesen Unterhändler mehr als augenscheinlich nicht hungern lassen.
    Die Athener nahmen ihre Plätze ein und blieben still. Sogar zum Lärmen fehlte ihnen die Kraft, dabei war das Lärmen doch ihre zweite Natur. Trotzdem stand etwas in den glanzlosen Augen der Männer, das lauter war als jeder empörte Zwischenruf. Theramenes baute sich am Rednerpult auf und zog den Mantel eng um die Schultern. Er bemerkte deutlich, wie sehr er sich von uns unterschied, und versuchte zu bedecken, was für jedermann so offensichtlich war. Dann berichtete er.
    Nachdem Lysander ihn fortgeschickt habe, sei auch er nach Sellasia an der Grenze zum Gebiet der Spartaner gegangen, um unmittelbar mit den Ephoren zu verhandeln. Dort habe er aber Wochen warten müssen, bevor sie überhaupt nur einen berittenen Boten nach ihm geschickt hätten. Eines Morgens sei endlich ein junger Offizier in seine Kammer getreten, kaum dass er an die Tür geklopft habe. Der habe ihn nur gefragt, was er wolle und über welche Vollmachten er verfügte. «Über alle», habe Theramenes geantwortet. Erst da sei ihm gestattet worden, zusammen mit zwei Begleitern lakonischen Boden zu betreten.
    Die Spartaner brachten Theramenes und seine Freunde in einem schlichten Wohnhaus unter und ließen ihn erneut warten. Tag und Nacht wurde das Anwesen bewacht. Es war ihnen verboten, auch nur einen Fuß auf die Straße zu setzen. Niemand durfte ein Wort an sie richten. Ein alter, taubstummer Sklave brachte ihnen täglich das Allernötigste …
    Das Allernötigste – bei diesem Wort regte sich Empörung in der Versammlung, und Theramenes beeilte sich weiterzusprechen.
    Der Sklave war der Einzige, der das Haus je betrat. Nach drei Wochen des Wartens waren Theramenes und seine Begleiter fest entschlossen, den grausamen Ort wieder zu verlassen und nach Athen zurückzukehren. Aber die Wachen ließen sie nicht vorbei. Am Himmel standen schon die Sternbilder des Frühlings, als endlich ein alter Spartanergeneral als Abgesandter der Ephoren zu ihnen kam. Zwei tiefe Narben liefen ihm über das mürrische Gesicht. Seine Haut war von den Wettern gegerbt. Sie baten ihn einzutreten, aber er blieb in dem kleinen Garten vor ihrem Haus stehen. Sie brachten ihm einen Stuhl, aber er setzte sich nicht.
    «Was sollen wir mit euch Athenern nur machen?», fragte er, nachdem er sie eine Weile gemustert hatte wie seltene Tiere auf dem Markt. «Unsere Verbündeten raten uns, eure Stadt zu zerstören, eure Männer zu töten und eure Weiber und Kinder zu verkaufen … Das wäre gewiss auch das Vernünftigste, was wir tun könnten. Aber eure Väter haben Seite an Seite mit unseren Vätern gekämpft und die Perser vom griechischen Boden vertrieben. Es gab eine ruhmreiche Zeit für euer Stadt. Daher unser Angebot: Ergebt euch und ihr dürft leben. Ihr könnt eure Häfen behalten und Handel treiben. Was von eurer Kriegsflotte übrig ist, liefert ihr aus. Eure Mauern müssen fallen. Das ist unser einziges Angebot und das letzte Wort. Geht nach Hause und entscheidet.»
    Mit dieser Nachricht wurden die Athener entlassen. Das war es also: Wie Hunde, die einen Kampf verloren haben, ihrem Bezwinger die ungeschützte Kehle offenbaren müssen, bevor er von ihnen ablässt, hatten wir uns gänzlich der Gnade der Spartiaten zu unterwerfen und ihnen die Stadt schutzlos auszuliefern. Konnten wir uns aber darauf verlassen, dass sie Wort hielten und uns schonten? Konnte es der Hund, der die Schlagader entblößt?
    Es ist doch ein merkwürdiges Ding mit den Menschen. Noch vor wenigen Wochen hatte die Forderung der Spartaner, die Mauern zu schleifen, wütende Stürme entfacht. Unseren ersten Unterhändlern hatten wir verboten, über die Mauern auch nur zu sprechen. Und nun? Zermürbt und hungrig nahmen wir es hin, wie Theramenes sie den Ephoren als Morgengabe überließ, ohne zu wissen, was das gewaltige Spartanerheer tun würde, wenn sich die jungfräuliche Athene vor den Augen dieser Männer entblößt und sich der Gnade der Spartiaten überantwortet hätte. Mehr noch: Mit den wenigen Tieren, die wir noch besaßen und nicht geschlachtet hatten, rissen wir selbst noch die Mauer ein, und die Jünglinge der Stadt spielten Musik

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