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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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nur finden konnten. Kurze Zeit später jedenfalls begannen sie Kephalos’ gesamten Besitz auf zwei Ochsenkarren zu laden, die sie für ihren Raubzug eigens mitgebracht hatten. Plötzlich drang Lärm aus dem Innenhof: wilde Flüche gefolgt von einem gurgelnden Laut und dem markerschütternden Schrei eines Weibes, der ebenso plötzlich erstarb, wie er erklungen war. Keiner zweifelte daran, dass etwas Fürchterliches geschehen war. Als die Toxotai die Ochsenkarren endlich vollgeladen und das Weite gesucht hatten, wagten sich einige der Nachbarn in Kephalos’ Haus. Ihnen bot sich ein Anblick des Grauens. Auf dem Boden lag der junge Polemarchos in einer Lache von Blut. Ein Schwerthieb hatte ihm die Bauchdecke geöffnet. Die Eingeweide quollen ihm aus dem Leib. Im Tod noch hatte er sie mit den Händen zurückzuhalten versucht. Halb neben und halb auf Polemarchos lag die schwarze Sklavin und umarmte ihn. Sie war vollkommen nackt, und noch im Tod war ihr Körper berückend schön. Denn tot war sie, ihr Kopf war vom Leib getrennt.
«Mehr habe ich nicht in Erfahrung bringen können», schloss Sokrates seinen Bericht, «Lysias muss mitangesehen haben, wie sein Bruder und diese Frau getötet worden sind. Du weißt, er stand Polemarchos sehr nah.»
Sokrates wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und sah zum Haus, wo wir Lysias in Chilons Obhut wussten. Er schwieg, und ich erinnerte mich an jene schöne Sklavin, die Polemarchos nach der Rückkehr der Paralos vor allen Besuchern angesehen hatte, als wäre er nicht irdisch. Kein Zweifel, dass sie ihn liebte, mit jener grenzenlosen Leidenschaft, zu der nur das Herz einer jungen Frau fähig ist. Doch das Bild wich einem anderen: Zwei Toxotai halten die junge Sklavin mit eisernen Griffen fest. Sie windet und wehrt sich wie eine verzweifelte Katze. Ein Dritter tritt vor sie und reißt ihr das Gewand vom Leib. Lachend dreht er sich um; gleich zeigt sich sein Gesicht. Ich rieche seinen abstoßenden Atem.
«Ich habe noch mehr schlechte Nachrichten», hörte ich Sokrates sagen, und das Traumgespinst verschwand. Es war der Wirklichkeit sehr nahe gekommen, wie ich später erfahren sollte.
Im Dunklen suchte ich Sokrates’ Gesicht. Ich ahnte, was er sagen würde.
«Ich habe doch gesagt, dass die Dreißig nicht nur reiche Metöken überfallen haben, sondern auch einige arme…», fuhr er fort.
«Myson!», rief ich aus. Ein paar Tauben flogen erschrocken vom Dach. Sofort wurde ich wieder leise. Es war unvorsichtig genug, hier draußen zu sitzen. «Was ist mit ihm? Ist er tot?»
Sokrates schüttelte den Kopf. «Soweit ich weiß, nein», erwiderte er ernst. «Aber sie haben ihn verhaftet und – sie verhören ihn.»
«Verhören? Wieso das?», fragte ich bestürzt, denn ich hatte keine Zweifel daran, wie sie ihn verhörten.
«Sie wissen von seiner Verbindung zu den Demokraten», antwortete Sokrates. Er zögerte einen Augenblick und schien sich einen Ruck geben zu müssen, bevor er weitersprechen konnte. «Und sie wissen von seiner Verbindung zu dir. Du bist in Gefahr, Nikomachos. Kritias hat dich nicht vergessen.»
Kritias! Allein schon der Klang des Namens erschütterte mich wie ein Beben, doch gleich darauf musste ich an Myson denken, wie er in einer Zelle saß und blutete, nicht anders als Lysippos, dieser arme Teufel, den ich damals vor mir gesehen hatte. Ich drehte mich zu Sokrates. Seine Umrisse verschwanden in der Dunkelheit. Der Abendwind strich durch die Blätter des Feigenbaumes.
«Wo ist er?», fragte ich. «Haben sie ihn in das Gefängnis gebracht, oder ist er in der Kaserne?»
«Im Gefängnis», antwortete Sokrates wie von fern. Er wusste, dass ich ihm nun noch eine andere Frage stellen musste.
«Sag mir eins, Sokrates», bat ich ihn denn auch und suchte seine Gestalt im nächtlichen Schatten des Baumes auszumachen. «Woher weißt du von Myson?» Obwohl ich ihn kaum sah, fühlte ich, wie er verlegen zur Seite sah. Er seufzte.
«Jemand bat mich, dich zu warnen, aber seinen Namen nicht zu nennen. Er ist dir wohlgesinnt. Glaube mir», antwortete er.
«Hast du etwa mit Lykon gesprochen?», fragte ich entsetzt.
«Lykon? Aber nein, keine Sorge!», versicherte er vollkommen ruhig. «Ich habe mit deinem alten Eromenos noch nie ein Wort gewechselt. Aber ich bitte dich, dringe nicht weiter in mich. Ich habe versprochen, seinen Namen nicht zu verraten.»
Ich weiß nicht, ob ich imstande gewesen wäre, Sokrates nicht weiter zu bedrängen, wäre in dem Moment nicht die Tür des großen

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