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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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gestern widerfahren sein mochte, es holte ihn ein. Eine Träne lief ihm über die Wange. Währenddessen klangen in mir die Worte nach: Für dich ist das Ganze zu groß und zu gefährlich. Was war Kritias nur für ein Mensch? Wer konnte zehn Jahre lang hassen? Aber ich verstand noch etwas anderes nicht: Wenn Sokrates wusste, dass kein anderer als Kritias für die Verbannung des Menschen verantwortlich war, der ihm nahestand wie kein anderer, wieso hatte er sich nicht an ihm gerächt?
    wie ich es erwartet hatte, besuchten Sokrates und Chilon uns noch am selben Tag. Sie kamen fast gleichzeitig und nutzten den Schutz der Abenddämmerung, um vorsichtig an das Tor zu klopfen. Während Sokrates mich zwar ernst, aber doch offen und freundschaftlich begrüßte, wie ich dies gewohnt war, schien mir Chilon verlegen und ausweichend.
    «Wie geht es Aspasia und meinen Söhnen?», fragte ich, nachdem wir den Bruderkuss getauscht hatten.
«Gut, keine Sorge», erwiderte Chilon und schlug dabei die Augen nieder, «es fehlt ihnen nichts. Ich kümmere mich um sie, so gut ich kann. Sie vermissen dich.»
Dann fragte er, den Blick immer noch zu Boden gerichtet, nach Lysias, während mir der Stachel der Eifersucht wieder ins Herz fuhr. Lange durfte ich meine Familie nicht mehr allein lassen, das war gewiss.
«Er hat sein Zimmer seit dem Frühstück nicht verlassen», antwortete ich, während ich gegen meine Gefühle kämpfte. «Ich war drei Mal bei ihm, um ihm Wasser und ein wenig zu essen zu bringen, aber er hat es nicht angerührt. Immerhin spricht er wieder. Gestern war er den ganzen Tag über völlig stumm.»
Ich brachte Chilon zu Lysias und ließ die beiden dann allein. Sokrates wartete draußen im Garten. Er saß unter unserem Feigenbaum auf dem Lieblingsplatz meines Vaters. Er war ungewöhnlich ernst. Er brachte schlimme Nachrichten.
«Hast du etwas herausgefunden?», fragte ich.
Sokrates nickte. «Ja, das habe ich.» In seinem Gesicht stand alle Schwere der Welt.
«Geht es dir manchmal auch so, dass du dich schämst, Athener zu sein?», fragte er unvermittelt.
«Ich weiß nicht», antwortete ich überrascht, «darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Sollten wir uns denn schämen?»
Sokrates antwortete nicht gleich. Er schloss die Augen und legte den Kopf zurück. An seiner Schläfe zuckte eine dunkle Ader. «Sie vertreiben die Metöken», sagte er endlich. «Gestern haben sie damit angefangen. Erst rauben sie sie aus, dann werden sie aus der Stadt gejagt.»
«Ich verstehe nicht», sagte ich ungläubig. «Wer verjagt die Metöken?»
«Die Dreißig, Kritias und seine Spießgesellen!», entgegnete Sokrates. «Mörderbande!», fluchte er.
Ich gab ihm Zeit, sich zu beruhigen. Dann bat ich ihn, der Reihe nach zu erzählen. Er atmete tief durch und berichtete.
Sokrates war den ganzen Tag durch Athen geeilt und hatte offenbar mit jedem gesprochen, dessen er habhaft werden konnte. Simon der Schuster war wieder eine der zuverlässigsten Quellen gewesen. Das Geschäft neben dem Tholos blieb der Umschlagplatz für neueste Nachrichten, auch wenn es gar keine Ratsherren mehr gab. Den Rest hatte er von Lysias’ Nachbarn erfahren, die ihm, bleich und voller Schrecken, erzählten, was sie hatten mit ansehen müssen: Ja, und dann gab es da noch jemanden, der ihm etwas anvertraut hatte …
Nachdem die Dreißig den Persern den Kriegsschatz überlassen hatten, mussten sie wohl darüber nachgedacht haben, wie sie die Staatskasse so schnell wie möglich wieder auffüllen konnten. Von wem die Idee stammte, hierzu einfach das Vermögen der Metöken zu stehlen, hatte Sokrates nicht in Erfahrung bringen können. Genau das aber hatten sie beschlossen und gestern in aller Frühe auch begonnen. Sie brauchten noch nicht einmal einen Vorwand dafür. Die Familie des Kephalos stand dabei an erster Stelle. Kephalos und seine Söhne waren die reichsten Ausländer der Stadt. Um ihre Habgier nicht allzu offen zutage treten zu lassen, wählten die Dreißig aber nicht nur reiche, sondern auch einige arme Metöken für ihre Überfälle aus … Kephalos aber traf es als Ersten.
Gestern Morgen umzingelte ein gewisser Eratosthenes, einer der Dreißig, zusammen mit einer Gruppe Toxotai Kephalos’ Haus. Wütend schlugen sie gegen das Tor. Als ihnen geöffnet wurde, stürmten sie das Anwesen. Was dort geschah, konnten die Nachbarn nur ahnen. Vermutlich durchsuchten die Männer Kammer um Kammer und Truhe um Truhe, um alles Gold und Silber an sich zu bringen, das sie

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