Mord im Garten des Sokrates
mit Periander?», wollte ich wissen.
Charmides antwortete nicht.
«Periander ist tot, und du gibst ein Gastmahl?», fragte ich,
mein Entsetzen kaum zügelnd.
Charmides kratzte sich am Hintern. Sein Gesicht blieb unbewegt. Er ging zurück zu seiner Liege und setzte sich vorsichtig. «Du musst Nikomachos sein», antwortete er, während er sich aus einer Obstschale eine reife Feige nahm. «Ich habe dich schon erwartet.»
«Man sagte mir, du warst Perianders Freund. Wie kannst du zwei Tage nach seinem Tod ein Fest geben?»
Charmides biss ungerührt in die Frucht. Er kaute mit offenem Mund, dann legte er die Feige wieder zur Seite. «Sokrates sagt, wir hätten alle eine unsterbliche Seele», erwiderte Charmides gelangweilt. «Sie trennt sich im Moment des Todes vom Leib und seinen Beschränkungen. Der wahre Philosoph geht freudig in den Tod. Er bringt ihn der Wahrheit näher. Was sollte ich mir also um Periander Sorgen machen?», antwortete Charmides mit einem eigentümlich leeren Ausdruck in seinem Gesicht.
«Und doch war Sokrates traurig, als er von Perianders Tod hörte, und du sitzt hier ungerührt zwischen diesen Wänden», konnte ich nicht umhin zu bemerken.
«Komm zur Sache, Toxotes», sagte Charmides kühl und offenbar gewohnt zu befehlen. Allmählich kam Leben in sein Gesicht, aber es zeigte nicht Gutes. Die Ähnlichkeit mit seinem Vetter wurde nur noch deutlicher, und sie war nicht auf die Erscheinung beschränkt. Charmides hatte das gleiche kalte Wesen.
«Wo warst du vorgestern Nacht?», fragte ich ihn. «Hier, mit meinem Vetter Kritias zusammen,» antwortete er, «wir haben die Ankunft der Perser vorbe…» Charmides verstummte mitten im Satz und biss sich auf die Unterlippe.
Ich hätte gar nicht bemerkt, dass er da ein Wort zu viel gesagt hatte, wenn er mich nicht auch noch mit der Nase darauf gestoßen hätte. Die persischen Bankiers schienen mehr Freunde in Athen zu haben, als ich dachte. Hatte Kritias denn mit Alkibiades zu schaffen?
«Also euch haben wir die Landung der Perser zu verdanken», stellte ich fest.
«Das geht dich nichts an, Nikomachos, und ich rate dir …», presste Charmides hervor, sprang auf und versuchte drohend die Faust zu heben, was ihm aber einigermaßen misslang, war er doch einen halben Kopf kleiner als ich, sodass die Geste lächerlich wirkte. «Ach was», meinte er und versuchte die Situation zu retten, indem er abwinkte und wieder Platz nahm. Er hielt sich den Schädel; er hatte wohl Kopfschmerzen. «Müsst ihr so laut sein? Ich bin noch nicht wach!», hörte ich plötzlich eine belegte Stimme sagen.
«Bleib liegen, Glaukon, schlaf weiter!», rief Charmides noch, aber da war der übernächtigte Besucher auch schon aufgestanden und streckte seine verschlafenes Gesicht über das Mäuerchen, welches das Zimmer teilte. Glaukon? Das musste Platons Bruder sein.
«Was gibt es, sind die anderen schon weg?», fragte er und schlich zu uns herüber. Glaukon war um einiges größer als Charmides – eine Bohnenstange mit muskulösem Hals und viel zu kleinem Kopf –, aber in einem noch erbärmlicheren Zustand. Er gähnte ausgiebig und setzte sich auf eine Liege. Auf seinem Gewand prangte ein riesiger Fleck. Er erinnerte mich an ein zu groß geratenes Kind, das sich bekleckert hatte. «Haben wir nicht noch etwas zu trinken?», fragte er seinen Gastgeber und schien mich dabei gar nicht zu bemerken. Dann streckte er sich ausgiebig, seufzte «Was für ein Gelage!» und ließ sich auf die Liege zurückfallen. Sein Chiton rutschte nach oben und enthüllte sein schlaffes Geschlecht.
Charmides stieß Glaukon an, aber der drehte sich nur um und streckte uns den nackten Hintern entgegen. Dann begann er zu schnarchen.
«Hast du sonst noch irgendwelche Fragen?», wandte sich der Hausherr wieder an mich.
Ich wusste, Charmides würde mir keine einzige ehrliche Antwort mehr geben, jetzt, nachdem die eine Antwort so unfreiwillig ehrlich ausgefallen war, und mit Glaukon würde man vor heute Abend nicht vernünftig reden können.
Ich sah mir die beiden genau an, den einen, wie er dalag und schlief, den anderen, wie er auf seiner Liege saß: Beide müde, verkatert, stinkend, die jungen Gesichter schon von den zu üppig genossenen Lüsten des Dionysos gezeichnet. Und das sollte also die Elite sein, die das Volk führt, die edlen und besseren Menschen, die noble Klasse?
«Aber nein, edler Charmides», antwortete ich mich verneigend und ließ ihn und seinen Gast im Weindunst zurück. Während ich hinaus in den
Weitere Kostenlose Bücher