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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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Verräter. Er hat mit Sparta gegen Athen gekämpft.» 
    «Sicher», antwortete mein Vater ruhig, «aber erst, nachdem die Athener ihn zu Tode verurteilt hatten …» 
    «Der Hermen-Frevel!», sagte ich bestimmt. Mein Vater sah mich lange und eindringlich an. 
    «Ja, der Hermen-Frevel. Du weißt ja, wie es war. Alkibiades wurde zu Tode verurteilt, weil die Hermesfiguren in der Nacht vor seiner Abfahrt nach Sizilien zerschlagen wurden. Alle nahmen an, er sei es gewesen, und alle haben das behauptet, nur gesehen hat es keiner … Aber lass uns nicht streiten. Ich wollte eigentlich etwas ganz anderes sagen. Vielleicht hast du ja recht und Alkibiades’ Wahl war ein Fehler, aber die Demokratie hat einen großen Vorzug. Sie kann diesen Fehler beseitigen, indem man ihn bei nächster Gelegenheit wieder abwählt. In diesem Punkt ist die Demokratie ziemlich gut und die Oligarchie ziemlich schlecht.» Mit diesen Worten erhob er sich, küsste mich auf die Stirn und ging zu Bett. Ich blieb noch eine Weile in der Stille der Nacht, saß an unserem Tisch und versuchte, Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Die zwei Schläger, die mich abgepasst hatten, der Perser, der Junge auf dem Sportplatz … Es war weit nach Mitternacht, als ich zu Bett ging, wo mich Aspasias nachtwarmer Körper und der Granatapfelduft ihrer Haut empfingen. Ich legte mich zu ihr, schloss die Augen und schlief trotz meiner schmerzenden Rippen sofort ein. Im Traum sah ich Sokrates; er winkte mir zu.
Charmides bewohnte ein rotes Haus am Fuße des Areopag. Es zeigte nach Süden und war in den Hügel hineingegraben, vermutlich, weil man so mehr Platz für den ausladenden Garten im Innenhof gewann und die in den Berg gemeißelten Zimmer stets kühl waren. Ein Sklave mit gebücktem Rücken führte mich durch den Hof in einen Festsaal, der sich im Hauptgebäude befand. Als er die Tür zu diesem Raum öffnete, sah ich, wie Charmides sich gerade schläfrig von einer der Liegen erhob, die unordentlich im Raum standen. Dabei war es nicht mehr früh. Das Festzimmer war groß und durch ein kleines Mäuerchen zweigeteilt. Es war reich geschmückt, aber es herrschte ein heilloses Durcheinander. Auf dem prächtigen Mosaikboden aus weißen und schwarzen Kieselsteinen lagen zerbrochene Krüge in ihren Lachen. Trinkschalen türmten sich auf den niederen Tischchen, die neben den Liegen standen. Stühle, Tücher und Kissen lagen herum. Es stank nach Wein, Schweiß und anderen menschlichen Ausdünstungen. Hier hatte es ein Gelage gegeben, und dafür war der Saal ganz offensichtlich auch bestimmt. Die Wände waren mit Szenen eines Bacchanals bemalt, das als fröhliches Fest beginnt und als Orgie endet: Auf der linken Wand sah man eine Gruppe von Männern beim Tranke. Zwei führten liegend die Schalen zu ihren Lippen, ein dritter stand zwischen ihnen und hielt eine Rede. Vielleicht ein Lob auf den Gastgeber, wie dies bei Symposien üblich ist. Das zweite Bild an der Stirnseite war schon wilder. Nun lagen alle drei Männer auf ihren Liegen, tranken und sahen gierig nach einem Jüngling und einem Mädchen hin, die mit Flöte und Chitara zwischen sie getreten waren. Auf dem dritten Bild waren der Knabe und die Nymphe nackt. Er zeigte sein steifes Glied und hielt es masturbierend in die Höhe. Sie tanzte um ihn herum, die wippenden Brüste und die rasierte Scham allzu deutlich gezeichnet, während zwei der Gäste klatschten, um die beiden anzufeuern, und der dritte im Trunke schon eingeschlafen war. Ich hatte wenig Zweifel, dass das Symposion, dessen Zeugen diese Mauern gestern geworden waren, nicht weniger ausschweifend verlaufen war, und einen Wimpernschlag lang sah ich eine Gruppe nackter Leiber, die sich im warmen Licht der Ölflammen vereinigten.
Charmides erhob sich träge und kam auf mich zu. Er war klein, schon etwas füllig und zeigte ein stumpfes Gesicht. Auch er trug die Tonsur der Oligarchen. Die Ähnlichkeit mit seinem Vetter Kritias war nicht zu übersehen, wenn Charmides auch deutlich jünger war und nicht halb so viel Würde ausstrahlte wie sein Vetter. Ja, er schien so etwas wie eine jüngere, dabei aber missratene Kopie von ihm zu sein. Charmides’ Chiton war von Wein und Speisen, vielleicht auch noch von anderem befleckt. Das Haar stand ihm wirr am Kopf.
«Es war wohl ein berauschendes Fest gestern Abend?», bemerkte ich.
«Hm, ja, nichts Besonderes», antwortete Charmides verwirrt
und kratzte sich am Schädel. Er stank aus dem Maul. «So schön wie das letzte Fest

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