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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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Angelegenheit aber herunterzuspielen, so gut ich konnte, damit er sich keine allzu großen Sorgen machte: «Es waren nur zwei junge Kerle. Sie haben mich draußen erwischt. Ich habe nicht aufgepasst. Es war aber nicht weiter schlimm.»
Vater sah mich angestrengt an und vergaß sogar, sich zu räuspern.
«Meinst du, das war eine Warnung?», fragte er.
Ich zuckte mit den Schultern. «Ich weiß es nicht. Wenn es eine Warnung war, dann kommt sie früh. Ich habe mit meiner Arbeit noch gar nicht richtig begonnen … Vielleicht waren es auch einfach nur zwei Strauchdiebe, die mir mein Geld abnehmen wollten. Du weißt, wie gefährlich Athen ist.»
«Ja, nur zu gut», bestätigte er und sah sich schnell um, als ob auch bei uns im Garten plötzlich jemand hinter einem Gebüsch hervorspringen könnte. Dann räusperte er sich, und ich war beruhigt.
    An diesem Abend saßen wir noch sehr lange im Garten. Eine schmale Mondsichel stand über der Stadt, und Hunderte und Aberhunderte von Sternen leuchteten wie von einem verschwenderischen Gott verstreutes Gold. Eine Fledermaus kreiste über unseren Köpfen und schnappte sich die Falter, die um das Licht flatterten. Aspasia war in ihren Frauengemächern geblieben. Jetzt schlief sie sicher schon. Kein Laut drang vom Haus in den Garten. Heute würde ich ihr meine Verletzung verheimlichen können. Das beruhigte mich. Die Nacht war friedlich, und ich fühlte mich meinem Vater nah; trotzdem dauerte es lange, bis ich ihm einen Gedanken anvertrauen konnte, der schon lange in mir schlummerte, jetzt aber vor allem durch die Begegnung mit Alkibiades geweckt worden war.
    «Manchmal überlege ich mir, ob Periander und Charmides nicht vielleicht doch recht haben», begann ich vorsichtig. «Glaubst du, es ist wirklich richtig, das Volk über die Fragen der Polis entscheiden zu lassen? Die meisten Athener können doch noch nicht einmal lesen oder schreiben. Sie stimmen gerade für das, was ihnen der beste Redner eingegeben hat, wenn sie ihre Stimmen nicht schon vorher von jemandem haben kaufen lassen. Denke nur an Alkibiades: Er hat mit den Spartanern gegen Athen gekämpft und uns hundertfach verraten. Irgendwann kehrt er zurück, verteilt Münzen unter das Volk und wird prompt zum Strategen gewählt … Ich verstehe das nicht. Meinst du nicht, es wäre besser, die Stadt würde von einer Gruppe unbestechlicher Männern regiert, die klug und verständig sind und sich nicht von jeder Stimmung mitreißen lassen?»
    Mein Vater hörte mir zu, räusperte sich und spitzte die Lippen, aber er antwortete nicht gleich. Früher hätte er mich wütend zurechtgewiesen, wenn ich einer Oligarchie das Wort geredet hätte. Seit er älter geworden war, war er nachdenklicher und milder gestimmt. Er strich mit der Hand über seinen kahlen Schädel. Für einen Moment war es ganz still in unserem Garten.
    «Weißt du, Nikomachos», antwortete er nach einer ganzen Weile, «das einfache Volk ist nicht so dumm, wie viele meinen, auch wenn es nicht lesen und nicht schreiben kann. Als wir in Athen vor über zwanzig Jahren die ersten Kriegsopfer beerdigen mussten, hat Perikles eine Rede gehalten, eine große Rede. An manche Sätze erinnere ich mich noch so genau, als ob ich sie gestern erst gehört hätte. Nein, das stimmt nicht. Ich erinnere mich viel genauer. Im Alter vergisst man vor allem, was gestern war, und die Jugend ist plötzlich wieder so nah … Er hat damals Folgendes gesagt: , Wir betrachten einen Menschen, der kein Interesse am Staat hat, nicht als harmlos, sondern als nutzlos. ’ – Ja so war das; und weiter – ‹ Zugegeben, nur wenige sind fähig, die Staatsgeschäfte zu führen, aber wir alle sind fähig, sie zu beurteilen.›
    Ich denke, das war für ihn entscheidend. Natürlich kann nicht jeder Stratege oder Archon sein, aber jemanden auszusuchen, der das Amt ausfüllt, der ehrlich ist und klug, das vermag das Volk sehr wohl. Wir erkennen ja auch, ob eine Statue gut geformt ist oder nicht, auch wenn wir keine Bildhauer sind …» «Und Alkibiades?»
Mein Vater strich sich über den kahlen Kopf. «Ich weiß
    nicht, ob du ihm nicht Unrecht tust. Alkibiades ist vielleicht kein Musterbeispiel an Tugend, aber er ist ein guter Stratege, und wir stehen nun einmal im Krieg. Wenn du die Wahl hast zwischen einem fähigen General von zweifelhafter Moral und einem unfähigen von bester Gesinnung, wem vertraust du deine Truppen an?»
    «Aber Alkibiades hat nicht einfach nur einen schlechten Ruf.  Er ist ein

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