Mord im Garten des Sokrates
worauf dieser sich von neuem empörte und wütend schnaubte.
«Das hätte ich von Raios’ Schwiegersohn nicht gedacht …», stammelte er. Ich hieß ihn zu schweigen, und er hielt verschreckt den Mund.
Er gab mir den Ring, nachdem er ihn mit einiger Mühe und noch mehr Spucke von seinem kleinen Finger gezogen hatte. Ans Fenster tretend betrachtete ich die Innenseite. Dort – im Verhältnis zur Perle leicht versetzt – fand ich ein kleines .
«Woher hast du den Ring?», fragte ich Hermogenes.
«Wie ich deinen Leuten schon sagte», antwortete er beleidigt und fuchtelte mit den Armen wie eine attische Windmühle, «ich habe ihn ehrlich erworben. Schon vor zwei Monaten. Er stammt von einem Händler aus Syrakus. Lysippos heißt er. Wir sind gute Freunde. Er kommt einmal im Jahr nach Athen mit bester Ware. Ich schwöre es bei Zeus, beim Leben meiner Mutter!» Hermogenes sah mich mit aufgerissenen Augen an, um sich der Wirkung seiner Beteuerungen zu vergewissern. Als er erkannte, dass ich unbeeindruckt blieb, machte er Anstalten, vor mir auf die Knie zu gehen. Beinahe verlor er das Gleichgewicht. Ich musste ihn an den Händen packen, damit er nicht wie ein angeschlagenes Kalb auf den Rücken fiel.
«Schwör lieber nicht», riet ich ihm, nachdem er wieder sicher auf den Füßen stand, «und setz dich wieder hin! Du bist in größter Gefahr, in Lebensgefahr.»
Hermogenes riss Mund und Augen noch weiter auf, aber er gehorchte. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn und rannen seine Backen herunter. Die zarte Seide seines Gewandes hatte große feuchte Flecken und klebte an seinem fleischigen Körper. Er roch nach Angst.
«Warum sollte ich in Gefahr sein?», fragte er.
«Sieh mal, Hermogenes, hier, dieses , das kennst du. Du kannst doch lesen? Es ist ein Rho, Raios’ Handwerkerzeichen. Er prägt damit jedes Schmuckstück, das aus seiner Werkstatt kommt. Der Ring ist also nicht aus Syrakus. Und erzähl mir nicht, der Ring wäre von Raios’ Werkstatt aus nach Sizilien und dann wieder zurück gelangt. Wir wissen, wem er gehörte.»
Hermogenes schnappte nach Luft wie ein Fisch, aber er blieb still. Unter der fleischigen Maske seines Gesichts waren die Muskeln zum Bersten gespannt.
«Woher hast du den Ring?», fragte ich ihn, aber er antwortete nicht.
«Also gut», sagte ich, «ich werde dir ein wenig helfen. Dieser Ring steckte vor drei Tagen noch am Finger eines jungen Aristokraten. Du kennst ihn sicher: Er hieß Periander. Er hat bei der letzten Olympiade den Stadionlauf gewonnen …»
Hermogenes nickte. Auch er kannte ihn, Athen liebte seine Helden.
«… die Sache ist nur», fuhr ich fort, «Periander ist tot. Er wurde umgebracht. Und wenn seine einflussreichen aristokratischen Freunde nun hören, dass du seinen Ring trägst, könnten einige von ihnen meinen, du hättest etwas mit dem Mord zu schaffen. Verstehst du, was ich meine?»
Hermogenes nickte langsam, als bräuchte sein Kopf erst etwas Zeit, um zu verstehen, was ich gerade gesagt hatte. Myson neben mir lehnte sich an die Wand und beobachtete Hermogenes gespannt. Ein leises Lächeln stand in seinem mageren Gesicht, fein wie eine Spinnwebe.
«Wer könnte so etwas von mir denken?», fragte Hermogenes mit dünner Stimme.
«Ja, wer zum Beispiel?», reichte ich die Frage wie eine Frucht an Myson weiter.
«Jemand wie Kritias zum Beispiel?», antwortete mir der Metöke in gespielter Unschuld.
«Ja, richtig, jemand wie Kritias zum Beispiel», sagte ich im gleichen beiläufigen Ton.
«Kritias», echote Hermogenes und befeuchtete sich die Lippen. «Hör zu, Nikomachos, du musst mir glauben. Ich habe nichts mit Perianders Tod zu tun. Nichts, gar nichts.» Das war ein anderes Gesicht, das er mir nun in der Angst zuwandte, ein ehrliches.
«Ich glaube dir», sagte ich, «das Problem ist nur, wenn diese einflussreichen Freunde Perianders auch nur meinen, du könntest den Mörder kennen oder decken, dann ist es ganz egal, was ich glaube oder was du mit Perianders Tod zu tun hast und was nicht. Dann werden sie dich einfach umbringen lassen, ganz schnell und einfach so.» Ich schnippte mit dem Finger. Hermogenes verstand vollkommen und nickte, wieder in dieser langsamen und etwas dümmlichen Art.
«Woher hast du den Ring?» Es war Myson, der jetzt fragte.
Hermogenes dachte keinen Augenblick mehr nach. «Der Kerl heißt Lysippos», sprudelte es aus ihm heraus, «er heißt wirklich so. Er ist ein kleiner Dieb und Säufer. Vorgestern kam er zu mir in den Laden und hat mir den Ring
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