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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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gezeigt. Er sagte, er hätte ihn beim Würfeln gewonnen. Der Ring gefiel mir gut, zu gut. Ich habe Lysippos fünf Drachmen geboten. Zuerst hat er mich beschimpft, aber dann hat er das Geld genommen und mir den Ring gelassen. Ich habe ihn an meinen kleinen Finger gezogen und meinte, ich wäre ein Glückspilz. Den Rest wisst ihr: Heute sind zwei deiner Bogenschützen in den Laden gekommen und haben sich nach einem goldenen Ring mit einer schwarzen Perle erkundigt. Ich war hinten im Lager und habe sie von dort aus gehört. Ich wollte den Ring ausziehen und verschwinden lassen, aber meine Hand war von der Hitze angeschwollen, und deswegen habe ich das Ding nicht vom Finger bekommen. Da stehen die Toxotai auch schon vor mir, lachen mich aus und führen mich ab. Stell dir vor: Sie führen mich einfach ab, vor meiner Familie, vor meinen Sklaven und meinen Nachbarn … Und lachen und lachen über mich. Diese Barbaren!»
Myson nickte mir zu. So hatte sich die Verhaftung zugetragen. Hermogenes hatte nur vergessen zu erwähnen, wie er sich noch mit seinem fetten Leib unter einer Werkbank zu verstecken versucht und sich dabei selbst so eingeklemmt und verkeilt hatte, dass man ihn zum allgemeinen Gelächter beinahe nicht mehr hatte hervorholen können. Vier Mann waren nötig, um ihn aus seiner Not zu befreien und an den weißen Beinen aus der Enge zu ziehen. Aber dieses süße Detail erfuhr ich später, zunächst von Myson und dann in den nächsten Tagen in immer neuen und schillernderen Varianten von meinen Männern, die sich dabei krümmten vor Lachen.
«Wo wohnt dieser Lysippos?», fragte ich Hermogenes, der nach dem Redeschwall völlig erschöpft schien.
«Ich weiß es nicht,» antwortete er keuchend. «Er hat eine erwachsene Tochter, aber er lebt nicht bei ihr, sondern treibt sich in den Tavernen herum und schläft mal hier und mal da.»
«Wie können wir ihn dann finden? Athen ist groß», meinte Myson.
«Aber das ist ganz einfach», entgegnete Hermogenes, so als hätte er uns das, was er nun sagen wollte, schon tausendmal erklärt. «Lysippos fehlt der linke Unterschenkel. Er ist kriegsversehrt!»
    im gegensatz zu den anderen hellenischen Städten kümmert sich Athen um Invaliden und Behinderte. Können sie nicht selbst für sich sorgen, so bekommen sie eine Rente von zwei Obolen am Tag, und dies ist nur recht und billig, denn die Kriegsversehrten gaben ihre Glieder zum Schutz der Stadt, und die von Geburt an Behinderten wurden uns von den Göttern anvertraut, um uns zu prüfen. Athener Eltern müssen ihre kranken Kinder auch nicht aussetzen wie die Spartaner. Niemand hätte Aspasia und mich dazu gebracht, dergleichen mit unseren Söhnen zu tun, wären sie auch krumm geboren. Die Auszahlung der Rente erfolgt einmal in der Woche im Rathaus gleich in der Nähe von Simons Werkstatt durch den Logistes, einen hierfür gewählten Bürger. Ihn, ein kleines, schmales Männlein mit dünnem Haar und schiefen Zähnen, weihten wir ein. Am Zahltag mussten sich meine Bogenschützen nur auf die Lauer legen und warten, wie die Versehrten Mann für Mann vor den Logistes traten, ihren Namen nannten und das Kupfer in Empfang nahmen, das sie für die nächste Woche brauchten. Nur zwei Tage, nachdem uns Hermogenes ins Netz gegangen war und Lysippos verraten hatte, war es so weit.
    Lysippos war einer der Letzten in der Reihe. Er hinkte auf seinem Holzbein zum Zahltisch und stellte sich vor. Der Logistes prüfte, ob der Name in der Liste stand, und reichte Lysippos den Beutel mit den Münzen, ließ ihn dabei aber wie aus Unachtsamkeit fallen. Das war das Zeichen. Kaum bückte sich Lysippos nach dem Geld, standen schon sechs Männer um ihn herum und nahmen ihn fest. Lysippos wehrte sich verzweifelt. Er schrie, spuckte, kratzte und heulte auf wie ein Tier – es gab einen richtigen Auflauf vor dem Rathaus, weil jeder wissen wollte, was denn dort vor sich ging –, aber es nutzte ihm nichts. Gefesselt und geknebelt trugen sie ihn in die Kaserne und sperrten ihn in die kleine Zelle. Dann schickten sie einen jungen Bogenschützen zu mir, der stolz meldete: «Er ist im Schlafzimmer!»
    Lysippos war ein armer Teufel: ein abgemagerter Säufer mit hohlen Wangen, heimtückischem Blick, fast zahnlosem Maul und fleckiger Haut, dabei aber hart und verschlagen. Er stank nach billigem Wein, Urin und Schweiß. Was er am Leib trug, erinnerte mehr an einen Lumpen denn an ein Gewand. Bibbernd und wie ein Häufchen Elend saß er auf dem Schemel und wartete.
    «Du

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