Mord Im Kloster
die beiden Besucher neugierig an.
»Ich hörte«, sagte er mit der gleichen lauten Stimme, die aus dem angrenzenden Raum zu hören gewesen war, »Ihr kommt aus dem Tempel zu London. Ich wollte nur einmal sehen, wie solche ehrwürdigen Charaktere aussehen. Ich habe noch nie einen Templer gesehen.«
Henri verbeugte sich leicht. »Templer sind nichts Besonderes, mein Herr. Nur einfache Ritter Christi.«
»Das ist nobel gedacht. Darf ich mich vorstellen? Ich bin Javierre de Bastard, Stapelherr aus Paris. Ich hoffe, das Kloster wird mir eine Pacht an seinen Grundstücken einräumen. Wir verhandeln darüber schon seit einiger Zeit, und jetzt kommen wir voran. Ich habe viel vor in England.«
»So«, erwiderte Neville ohne sonderliches Interesse. Der Mann mit den roten Wangen und dem schütteren blonden Haar war ihm auf den ersten Blick nicht angenehm, obwohl er freundlich lächelte und gutmütig schien.
»Wir warten auf Abt Thomas«, sagte Henri. »Seid Ihr auch mit ihm verabredet?«
Der Mann schüttelte heftig den Kopf. »Wir haben gestern schon über alles gesprochen, was für unser Geschäft wichtig ist. Übrigens müsst Ihr viel Zeit aufbringen, wenn Ihr ihn sprechen wollt.«
»Wie meint Ihr das? Wir sind mit ihm verabredet.«
»Das kann schon sein, aber er kommt erst in vier Tagen zurück. Dann zelebriert er nämlich die Ostermesse. Und das werde ich mir auf gar keinen Fall entgehen lassen. Denn Abt Thomas ist ein begnadeter Redner! Und nun Gott zum Gruß, die Herren Templer!«
Henri und Neville hörten die Worte des Franzosen, aber sie verstanden sie nicht recht.
Henri sprang schließlich auf. »Moment! Abt Thomas kommt erst in vier Tagen zurück? Aber wir sind genau zu dieser Stunde mit ihm verabredet!«
Verwundert sah der französische Edelmann ihn an. »Habt Ihr das Treffen mit ihm persönlich besprochen?«
»Nun, wir erhielten einen Brief von ihm, in dem stand, wir könnten ihn jederzeit erreichen. Und jetzt, also – die Mönche hätten uns doch gesagt, wenn der Abt gar nicht abkömmlich ist.«
»Welche Mönche, Ihr Herren Templer?«
Ärgerlich sagte Neville: »Der alte Benediktiner, der uns in diesen Saal geleitete. Und der junge Mönch an der Pforte, der uns für den Nachmittag herbestellte.«
»Nun, wir können sie ja befragen!«
Henri und Neville stimmten zu. Als sie den alten Benediktiner in einem der Nebenräume trafen, behauptete er, von einer längeren Abwesenheit des Abtes nichts zu wissen. Der junge missmutige Mönch von der Pforte hingegen war nicht aufzutreiben. Die Stallburschen wussten nicht, wo er steckte. An der Pforte saß jetzt ein Mönch, der nicht verbergen konnte, dass er Essen und Trinken über Gebühr zusprach. Er erinnerte sich nicht an den jungen Mönch, den Henri und Neville suchten.
Die beiden Besucher des Klosters sahen sich ratlos an. Im Augenblick hatte es ihnen buchstäblich die Sprache verschlagen. Als sie noch einmal zur Fassade der Abtei hinaufblickten, sahen sie an einem Fenster eine Gestalt. Versteckte sich der Abt dort oben vor ihnen? Aber welchen Grund sollte er haben?
Nein, neben den schweren Fenstervorhängen stand ein anderer, aber sie glaubten ihn zu erkennen. Der Mann war nur für einen Moment zu sehen, und doch glaubten sowohl Henri als auch Neville felsenfest, den französischen Bruder Robin Gilmour-Bryson gesehen zu haben.
Aber das war unmöglich. Was sollte Robin Gilmour-Bryson in St. Albans?
Noch als sie auf ihren Pferden saßen und nach London zurückritten, wussten sie nicht, ob sie ihren Sinnen trauen konnten.
Welches Spiel wurde in diesem Kloster gespielt?
3
Ostern 1300, die stillstehenden Tage
Der Abt von St. Albans wusste, dass in der jetzt bevorstehenden Feier des Herrenmahls das Opfer am Kreuz ebenso gegenwärtig war wie das neue Leben, das aus diesem Opfer erwuchs. Und er ahnte an diesem Tag, der mit dunklen Regenwolken anbrach, dass es für ihn nur das Opfer geben würde. Denn die Zeichen, die er erhalten hatte, waren eindeutig.
Schon beim Erwachen hatte er es gespürt. Dies würden nicht seine festlichen Tage sein. Aber war das nicht angemessen? Es waren die Tage des Herrn, seiner Passion und leidvollen Reise. Die stillstehenden Tage. Ein Menschenschicksal war in dieser Zeit gänzlich unbedeutend.
Abt Thomas seufzte. Er betete noch im Morgengewand für sich in der Kapelle. Er fror dabei. Dann ließ er sich ankleiden. Er fragte sich, warum die Templer aus London nicht kamen. Warum reagierten sie nicht auf
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