Mord Im Kloster
eines einzelnen Mannes zu gehen. Abt Thomas – wer war er? Das Bild bleibt mir rätselhaft. Er war unbezweifelbar ein großer Charakter. Ich weiß auch, dass er ein ehrlicher Freund des Tempels war. Für mich auch solcher Sünden, die man ihm vorwirft, völlig unverdächtig. Aber es scheint eine tiefe Bereitschaft zu geben, den Anschuldigungen gegen ihn zu glauben. Warum? Das ist das eigentliche Problem.«
»Er muss etwas getan haben, das ihn verhasst machte.«
Henri berichtete von der Schuhrevolte. Neville hörte verwundert zu, schloss aber aus, dass der Hass von diesem Ereignis herrühren konnte.
Henri sagte: »Letztlich war Abt Thomas wohl ein Kleriker wie andere auch. Einer, der guten Glaubens ist und den Sündern Ablässe verkauft.«
»Aber reicht das, um den Hass eines Mörders auf sich zu ziehen?«
»Das allein sicher nicht. Vielleicht musste er dafür büßen, dass Mönche heutzutage nicht gut angesehen sind.«
»Du meinst, der Vertrauensverlust, den Klerus und Adel ohnehin seit einiger Zeit in England erleben, könnte sich hier in St. Albans entladen haben?«
»Vielleicht. Ich muss jede Möglichkeit in Erwägung ziehen. Und kann man es den Menschen verdenken, dass sie bei all dem Machtmissbrauch, den wir in der heutigen Zeit erleben, missmutig und ungerecht werden?«
Neville sagte: »Ich weiß nicht genau, wovon du sprichst. Unser Königshaus scheint mir nach langer Zeit einmal wieder kluge Politik zu machen – abgesehen vielleicht von dem Krieg gegen die Waliser. Und die Pfaffen sind eben die Pfaffen.«
»Ja. Aber erleben wir nicht, wenn wir genau hinsehen, einen fortschreitenden Verfall der moralischen und politischen Autorität des Papsttums? Sie wollen die päpstliche Lehnsherrschaft über England ausdehnen! Ich liebe Bonifaz den Achten, er ist mein Heiliger Vater, aber wenn ich sehe, wie in England die päpstliche Besetzungspraxis kirchlicher Pfründe immer rüdere Formen annimmt, dann komme ich ins Grübeln.«
»Du scheinst darüber mehr zu wissen als ich.«
»Der Heilige Stuhl geht dazu über, Bistümer, Abteien und sonstige Besitztümer ohne Rücksicht auf das Wahlrecht der eigentlich zuständigen kanonischen Wahlgremien einfach im Weg der Provision, der päpstlichen Ernennung, zu besetzen. Es hat für den Heiligen Stuhl einfach den Vorteil, dass höhere Gebühren anfallen! Aber schauen wir uns doch mal die moralische Fragwürdigkeit eines solchen fiskalischen Denkens an! Es ist die höchste geistliche Instanz! Wie kommt das bei den einfachen Leuten an?«
»Du bist durch deine Beschäftigung mit dem Fiskus im Tempel sehr kritisch geworden.«
»Ja, gerade weil im Tempel alles sauber und klar ist, sehe ich Dinge wie Ämterhäufung, Verweltlichung und Disziplinlosigkeit in der Papstkirche umso deutlicher.«
»Vorsicht, Henri! Das klingt schon fast nach Ketzerei!«
»Unsinn!«
»Du bist doch wohl nicht einer von diesen Bettelmönchen geworden! Sie behaupten, dass die Kirche nicht durch Klerus und Papsttum, sondern durch die unsichtbare Gemeinschaft der von Gott Erwählten repräsentiert wird, während die bestehende Amtskirche der Herrschaft des Antichrists ausgeliefert und damit zur ewigen Verdammnis bestimmt ist!«
»Nein, beruhige dich, Neville, ich bin kein Bettelmönch geworden. Aber ich sage dir was! Ich sehe voraus, dass es noch so weit kommt, dass jeder seinen eigenen Papst wählt, um seine Einkünfte zu erhöhen! Zumindest in Italien und Frankreich.«
»Male den Teufel nicht an die Wand! Aber vielleicht hast du Recht, und der Zustand unserer geliebten Kirche ist wirklich Besorgnis erregend. Auf der anderen Seite: Es gab immer die Suche nach Sündenböcken, die für etwas herhalten mussten. Vielleicht hat einen solchen jemand in dem armen Abt Thomas gefunden.«
Javierre de Bastard war in der Nacht aus dem Land der Normannen kommend eingetroffen und hatte sich sogleich in die Klosterkirche begeben. Er liebte diesen Ort inbrünstig. Er vermittelte ihm das Gefühl, dass ihm alle seine Sünden vergeben würden.
Vor allem, wenn er in der gerade gebauten Marienkapelle am goldenen Schrein vor den Gebeinen der beiden Märtyrer Amphibalus und des Heiligen Alban betete, wurde ihm wohl ums Herz. Er wollte eines Tages auch in einem solchen Reliquiar bestattet sein, auf einem Sockel von Purbeckmarmor, ganz von Gold umgeben. Manchmal fühlte Javierre sich hier so zu Hause, als habe er den Bau dieser Kirche persönlich in Auftrag gegeben. Das musste mit seiner Kindheit in der
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