Mord Im Kloster
Normandie zusammenhängen und mit seinen Landsleuten, den Normannen, die St. Albans gebaut hatten, nachdem sie die angelsächsische Kirche abreißen ließen. Javierre kannte jeden Stein solcher hochfliegender Kirchen aus seiner Heimatstadt Caen. Alles in St. Albans atmete normannischen Geist.
Javierre de Bastard erhob sich. Er ging demütig am Chorraum vorbei und entzündete eine Kerze. Auf dem Opfertisch neben den massigen normannischen Pfeilern brannten schon Hunderte Kerzen. Ihr Schein spielte an den Wänden mit der unregelmäßig geschichteten Backsteinoberfläche im Wechsel mit Feuerstein, ließ Schatten wandern und Figuren auf kupfernen Grabplatten tanzen. Javierre de Bastard hatte seit seiner Kindheit eine dunkle und lebhafte Fantasie, die ihn immer mehr bedrängte. Er sah in Licht und Schatten eine Botschaft, las aus dem Tanz der flackernden Lichter für sich heraus, ob seine Pläne gelingen würden.
Er hätte jubeln können. Sie würden gelingen!
Der Franzose benutzte die westliche Treppe zum Kapitelhaus. Die Steinstufen waren ausgetreten, wie viele Generationen von Mönchen waren hier schon emporgegangen! Javierre hatte Sinn für Vergangenheit, er sah frühere Jahrhunderte manchmal in ihren Gestalten vor sich, als lebten sie neben ihm. Hier war alles Stein, eine eingemauerte, großartige Welt von aufstrebenden Bündelpfeilern, Bogenfenstern, Pforten und Maßwerk. Hier verfing sich der freie Geist, der Pläne machte, nicht wie in den alten, gedrungenen Kirchen im Landesinneren von England in geduckten, eingemauerten Formen, sondern wurde emporgeleitet, bis hin zum Höchsten. Und wurde dort jubilierend empfangen.
Javierre empfand es immer als Klärung und innere Reinigung, in St. Albans zu sein. Deshalb wollte er dieses Kloster auch besitzen.
Er betrat den Kapitelsaal. Demütig zwar, denn er war kein Benediktiner und wurde in der Versammlung immer noch nur als Laienbruder geduldet, aber auch innerlich hochfahrend. Denn bald würde er den Vorsitz im Kapitel führen.
Prior John de Maryns und die Brüder starrten ihm entgegen. Javierre erblickte nicht in allen Gesichtern Freundlichkeit. In einigen Augenpaaren stand sogar blanker Hass. Javierre de Bastard atmete tief ein und hob den Blick. Was für ein Raum! Er empfand manchmal die Einsamkeit hier im fremden Land, fühlte sich wie ein kleiner Junge aus Caen, den die ihm auferlegten kaufmännischen Pflichten von Großvater und Vater überforderten, später war sogar das Königshaus an ihn herangetreten und hatte ihm diese gewaltige Aufgabe gestellt. Aber er bezog innere Stärke in strahlenden Klosterräumen. Das hatte gewiss damit zu tun, dass hier seine wahre Bestimmung wartete – ein Herr und Führer zu sein.
Javierre setzte sich auf eine der rundum laufenden Bänke. Er machte sich klein. Der Prior und die Benediktiner begannen, das nächste Kapitel zu lesen. Dann sprachen sie über die Aufgaben, die vor ihnen lagen. Javierre hörte nicht zu. Er würde ihre Pläne ohnehin zunichte machen. Er ließ den Blick durch den Saal mit der Mittelsäule wandern. Das waren Räume, die seiner würdig waren! Fest gefügt und in Stein gehauen und doch leicht und wie spielerisch, mit dem einfallenden bunten Licht durch die Reihen der hohen, spitz zulaufenden Fenster. Die Gewölbedecke mit ihren klaren Streben und Kreuzrippen, welch ein Geniestreich! Für Genies gemacht, die alles in sich aufnahmen und ihre Gedankenströme ausschickten, das grobe Material überwanden und alles Wegstrebende, Widerspenstige bändigten. Und alles Feindliche beseitigten.
Javierre fühlte, während er das Gespräch der Konventualen an sich vorbeifließen ließ, wie er den Raum in Besitz nahm. Und der Raum nahm ihn in Besitz. Beide wurden ebenbürtig.
Was hatten die Benediktiner vor? Javierre zwang sich, ihrem Disput zu folgen.
Sie wollten die Konversen zügeln. Sie wollten schnell einen neuen Abt wählen. Sie wollten Henri de Roslin bei seiner Ermittlungsarbeit jede Unterstützung gewähren.
Henri de Roslin?
Javierre horchte auf. War der Templer tatsächlich wieder in St. Albans? Und sie ließen ihn gewähren?
Ein einzelner Sonnenstrahl drang durch eine der Rosetten des sechseckigen Kapitelsaales und stach mit einem roten Messer in Javierres Augen. Er zuckte zusammen. War das wieder ein Zeichen? Er versuchte es zu deuten. Rot. Messer. Nein, nein, dachte er. Nicht an mich ergeht ein solcher Auftrag. Das wäre unter meiner Würde. Schnell dachte er stattdessen: strahlendes Licht, tastende
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