Mord im Pfarrhaus
Marple glaubte nicht, dass er lauter gewesen war. Sie fand es schwierig zu sagen, inwiefern er anders gewesen war, aber anders war er gewesen, darauf beharrte sie.
Ich dachte, sie würde sich das vermutlich eher einreden, als dass sie sich daran erinnerte, aber sie hatte gerade eine so wertvolle neue Betrachtungsweise des Problems beigesteuert, dass ich größten Respekt vor ihr hatte.
Sie stand auf, wobei sie murmelte, sie müsse jetzt wirklich nach Hause – es war so verlockend gewesen, einfach herüberzulaufen und den Fall mit der lieben Griselda zu besprechen. Ich begleitete sie zur Grenzmauer und dem Hintertörchen. Als ich zurückkam, war Griselda in Gedanken versunken.
«Zerbrichst du dir immer noch den Kopf über diesen Zettel?», fragte ich.
«Nein.» Sie schauderte plötzlich und zuckte ungeduldig die Schultern. «Len, ich habe nachgedacht. Wie sehr muss jemand Anne Protheroe gehasst haben?»
«Gehasst?»
«Ja. Begreifst du nicht? Es gibt keine wirklichen Beweise gegen Lawrence – alle Beweise gegen ihn sind eher zufällig. Es fiel ihm einfach ein, hierher zu kommen. Wenn er nicht gekommen wäre – nun, dann hätte niemand daran gedacht, ihn mit dem Verbrechen in Verbindung zu bringen. Aber bei Anne ist es anders. Angenommen, jemand wusste, dass sie genau um 6.20 hier war – die Uhr und die Zeit in dem Brief – alles deutet auf sie. Ich glaube nicht, dass die Uhr wegen eines Alibis auf genau diese Zeit gestellt wurde – ich glaube, dahinter steckt mehr – ein direkter Versuch, die Schuld auf sie zu schieben. Wenn Miss Marple nicht gesagt hätte, dass Anne die Pistole nicht bei sich hatte und dass sie nur einen Moment zuvor ins Atelier ging… Ja, wenn das nicht gewesen wäre…» Sie schauderte wieder. «Len, ich habe das Gefühl, dass jemand Anne Protheroe sehr hasst. Mir – mir gefällt das nicht.»
Zwölftes Kapitel
A ls Lawrence Redding kam, wurde ich ins Arbeitszimmer gerufen. Er sah abgespannt aus und, fand ich, misstrauisch. Colonel Melchett begrüßte ihn beinahe herzlich.
«Wir wollten Ihnen ein paar Fragen stellen – hier, am Tatort», sagte er.
Lawrence lächelte spöttisch. «Ist das nicht eine französische Methode? Rekonstruktion des Verbrechens?»
«Mein lieber Junge», sagte Colonel Melchett, «reden Sie nicht in diesem Ton mit uns. Wissen Sie, dass jemand anders ebenfalls das Verbrechen gestanden hat, zu dem Sie sich bekannt haben?»
Das traf Lawrence unvermittelt und schmerzhaft. «Je-jemand anders?», stammelte er. «Wer – wer?»
«Mrs Protheroe.» Colonel Melchett ließ ihn nicht aus den Augen.
«Absurd. Sie hat es nie getan. Sie konnte es gar nicht. Es ist unmöglich.»
Melchett unterbrach ihn. «Es mag seltsam klingen, aber wir haben ihre Geschichte nicht geglaubt. Ebenso wenig, will ich hinzufügen, glauben wir Ihre. Dr. Haydock sagt definitiv, dass der Mord nicht zu der Zeit begangen worden sein kann, die Sie angeben.»
«Das sagt Dr. Haydock?»
«Ja, und deshalb sind Sie außer Verdacht, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Und jetzt möchten wir, dass Sie uns helfen, indem Sie uns genau erzählen, was geschehen ist.»
Lawrence zögerte immer noch. «Sagen Sie mir wirklich die Wahrheit – über Mrs Protheroe? Sie verdächtigen Sie tatsächlich nicht?»
«Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort», betonte Colonel Melchett.
Lawrence holte tief Luft. «Ich war ein Idiot», sagte er. «Ein völliger Idiot. Wie konnte ich nur eine Minute glauben, dass sie es war…»
«Wie wäre es, wenn Sie uns alles darüber erzählen?», schlug der Polizeichef vor.
«Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich – ich traf Mrs Protheroe an diesem Nachmittag…»
«Darüber wissen wir Bescheid», bekannte Melchett. «Vielleicht glauben Sie, dass Ihre Gefühle für Mrs Protheroe und die ihren für Sie ein absolutes Geheimnis waren, aber in Wirklichkeit waren sie bekannt und wurden kommentiert. Jedenfalls kommt jetzt zwangsläufig alles heraus.»
«Nun gut. Ich nehme an, Sie haben Recht. Ich hatte dem Pfarrer versprochen», sagte Lawrence mit einem Blick auf mich, «zu gehen – sofort wegzugehen. Ich traf Mrs Protheroe an diesem Abend um Viertel nach sechs im Atelier. Ich sagte ihr, wozu ich mich entschlossen hatte. Auch sie war der Meinung, es sei die einzige Lösung. Wir – wir nahmen Abschied voneinander. Wir verließen das Atelier, und fast sofort stieß Dr. Stone zu uns. Anne brachte es fertig, wunderbar natürlich zu wirken. Ich nicht. Ich ging mit Stone in den Blauen Eber
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