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Mord im Pfarrhaus

Mord im Pfarrhaus

Titel: Mord im Pfarrhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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glänzten verdächtig wie von Tränen, und sie ballte die beiden kleinen Hände.
    «Oh!», rief sie entrüstet. «Die Leute sind gehässig – gehässig. Was sie alles sagen! Die Gemeinheiten, die sie sagen…»
    Ich schaute sie erstaunt an. Es sieht Griselda gar nicht ähnlich, sich so aufzuregen. Sie bemerkte meinen Blick und versuchte zu lächeln.
    «Schau mich nicht an, als wäre ich ein interessantes Exemplar, das du nicht verstehst, Len. Wir sollten uns nicht ereifern und vom Thema abschweifen. Ich glaube nicht, dass es Lawrence oder Anne waren, und Lettice kommt nicht in Frage. Es muss irgendeinen Hinweis geben, der uns helfen wird.»
    «Die Nachricht natürlich», sagte Miss Marple. «Sie werden sich daran erinnern, dass ich heute Morgen sagte, sie kommt mir ausnehmend sonderbar vor.»
    «Sie scheint den Zeitpunkt seines Todes mit bemerkenswerter Präzision anzugeben», sagte ich. «Und trotzdem, ist das möglich? Mrs Protheroe hätte gerade das Arbeitszimmer verlassen. Sie hätte kaum Zeit gehabt, bis zum Atelier zu kommen. Ich kann mir das nur so erklären, dass Protheroe seine eigene Uhr zu Rate zog und dass seine Uhr nachging. Das könnte eine plausible Erklärung sein.»
    «Ich habe eine andere Idee», sagte Griselda. «Angenommen, Len, dass die Uhr schon zurückgestellt worden war – nein, das kommt aufs Gleiche raus – wie dumm von mir!»
    «Sie war nicht zurückgestellt worden, als ich ging. Ich erinnere mich, dass ich sie mit meiner Armbanduhr verglichen habe. Aber, wie du sagst, das hat keine Bedeutung in dieser Sache.»
    «Was glauben Sie, Miss Marple?», fragte Griselda.
    «Meine Liebe, ich gestehe, dass ich aus dieser Sicht nicht darüber nachgedacht habe. Was mir von Anfang an so merkwürdig vorkam, ist der Inhalt des Briefes.»
    «Das verstehe ich nicht», erwiderte ich. «Colonel Protheroe schrieb lediglich, dass er nicht länger warten könne…»
    «Um zwanzig Minuten nach sechs?», sagte Miss Marple. «Ihr Mädchen, Mary, hatte ihm schon gesagt, dass Sie vor halb sieben frühestens nicht zurück sein würden, und er schien ganz bereit zu sein, bis dann zu warten. Und doch setzt er sich um zwanzig nach sechs hin und schreibt: ‹Kann nicht länger warten.›»
    Ich schaute die alte Dame mit wachsendem Respekt für ihre Geisteskräfte an. Ihr scharfer Verstand hatte erkannt, was uns allen entgangen war. Es war merkwürdig – sehr merkwürdig.
    «Wenn nur», sagte ich, «die Zeitangabe nicht gewesen wäre…»
    Miss Marple nickte. «Genau. Wenn sie nicht gewesen wäre!»
    Ich versuchte mir das Notizblatt mit dem verwischten Gekritzel und den ordentlich darüber gemalten Zahlen 6.20 ins Gedächtnis zurückzurufen. Zweifellos passten diese Zahlen nicht zum übrigen Brief. Ich hielt den Atem an.
    «Angenommen», sagte ich dann, «die Zeitangabe stand nicht darauf. Angenommen, um etwa 6.30 wurde Colonel Protheroe ungeduldig und setzte sich, um mitzuteilen, dass er nicht länger warten könne. Und während er da saß und schrieb, kam jemand durch die Glastür…»
    «Oder die andere Tür», sagte Griselda.
    «Er hörte ein Geräusch und schaute auf.»
    «Colonel Protheroe war ziemlich taub, vergessen Sie das nicht», bemerkte Miss Marple.
    «Ja, das stimmt. Er hätte es nicht gehört. Wie der Mörder auch gekommen sein mag, er schlich sich von hinten an den Colonel heran und erschoss ihn. Dann sah er den Brief und die Uhr und hatte einen Einfall. Er schrieb 6.20 oben auf das Blatt und stellte die Uhr auf 6.22. Das war eine kluge Idee. Sie gab ihm, so glaubte er wenigstens, ein perfektes Alibi.»
    «Und wen wir suchen müssen», sagte Griselda, «ist jemand, der für 6.20 ein wasserdichtes Alibi hat, aber gar kein Alibi für – nun, das ist nicht so einfach. Man kann die Zeit nicht festlegen.»
    «Wir können sie innerhalb sehr enger Grenzen bestimmen», sagte ich. «Haydock nennt 6.30 als den spätesten Zeitpunkt. Ich nehme an, wir könnten ihn auf 6.35 verschieben. Nach den Überlegungen, die wir gerade angestellt haben, scheint klar, dass Protheroe vor 6.30 nicht ungeduldig geworden wäre. Ich glaube, das wissen wir ziemlich gut.»
    «Dann dieser Schuss, den ich gehört habe – ja, ich glaube, es ist möglich. Und ich dachte mir nichts dabei – überhaupt nichts. Höchst irritierend. Und doch, wenn ich mich jetzt zu erinnern versuche, kommt es mir vor, als wäre er anders gewesen als die Schüsse, die man sonst hört. Ja, da war ein Unterschied.»
    «Lauter?», fragte ich.
    Nein, Miss

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