Mord im Spiegel
Schön. Ich werde mich wieder um meine Patientin kümmern. Ich sorge dafür, dass Sie sie so bald wie möglich sprechen können.«
10
»J ason ist da«, sagte Hailey Preston. »Würden Sie, bitte, mitkommen, Chefinspektor? Ich führe Sie zu seinem Arbeitszimmer.«
Der Raum, den Jason Rudd zum Arbeiten benützte, war gleichzeitig Wohnzimmer und lag im ersten Stock. Er war sehr bequem, aber nicht luxuriös eingerichtet und verriet nichts von der Persönlichkeit des Benutzers oder seinem Geschmack. Jason Rudd saß hinter seinem Schreibtisch und erhob sich, um Craddock zu begrüßen. Der Raum brauchte gar keine eigene Note, dachte Craddock, Rudd war ein Mann, der alles andere und alle anderen in den Hintergrund drängte. Preston war geschwätzig, ein Windbeutel, Gilchrist besaß Energie und Persönlichkeit, doch jetzt stand ein Mann vor Craddock, der nicht leicht einzuordnen war, wie der Chefinspektor sich eingestehen musste. Durch seinen Beruf hatte er eine Menge Leute getroffen und einschätzen gelernt. Inzwischen stufte er die Menschen, mit denen er es zu tun bekam, automatisch ein, und sehr oft wusste er sogar, was sie dachten. Doch er spürte sofort, dass man von Rudds Gedanken nur so viel erfuhr, wie es diesem passte. Die tief liegenden Augen beobachteten genau und verrieten wenig. Das hässliche, unregelmäßige Gesicht ließ auf großen Verstand schließen. Es war das Gesicht eines traurigen Clowns. Man konnte es abstoßend oder anziehend finden. Ich, dachte Craddock, höre am besten nur zu und mache mir in Gedanken Notizen.
»Entschuldigen Sie, Chefinspektor, dass Sie warten mussten. Ein paar Schwierigkeiten im Studio haben mich etwas länger aufgehalten. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
»Im Augenblick nicht, vielen Dank, Mr Rudd.«
Die Clownsmaske legte sich plötzlich in amüsiert-ironische Falten. »Kein Haus, in dem man etwas trinken möchte – ist es das, was Sie dachten?«
»Offen gestanden habe ich es nicht gedacht.«
»Nun, vielleicht nicht. Also, Chefinspektor, was möchten Sie wissen? Was kann ich Ihnen erzählen?«
»Mr Preston hat mir sehr ausführlich auf alle Fragen geantwortet, die ich gestellt habe.«
»Und hat es Sie weitergebracht?«
»Nicht so viel, wie ich gehofft habe.«
Rudd sah ihn fragend an.
»Ich habe auch mit Doktor Gilchrist gesprochen. Er informierte mich, dass Ihrer Frau nicht wohl genug ist, um Fragen beantworten zu können.«
»Marina«, antwortete Rudd, »ist sehr sensibel und offen gesagt, sehr nervös. Und Sie müssen zugeben, dass ein Mord im eigenen Haus schon zu einem Nervenzusammenbruch führen kann.«
»Jedenfalls ist es keine angenehme Erfahrung«, bemerkte Craddock trocken.
»Außerdem bezweifle ich sehr, dass meine Frau Ihnen etwas Wissenswertes erzählen könnte, das Sie nicht ebenso gut von mir hören könnten. Als es passierte, stand ich neben ihr, und ich bin, ehrlich gesagt, ein besserer Beobachter als sie.«
»Meine erste Frage«, antwortete Craddock, »haben Sie vermutlich schon einem meiner Kollegen beantwortet, trotzdem möchte ich sie stellen: Ist Ihnen oder Ihrer Frau Heather Badcock schon früher einmal begegnet?«
Rudd schüttelte den Kopf. »Nicht dass ich wüsste. Ich hatte diese Frau noch nie in meinem Leben gesehen. Wegen der ›St. Johns Ambulance‹ hatte sie mir zwei Briefe geschrieben, doch persönlich kennen gelernt habe ich sie erst fünf Minuten vor ihrem Tod.«
»Aber sie behauptete, Ihre Frau bereits getroffen zu haben?«
Rudd nickte. »Ja, etwa zwölf oder dreizehn Jahre ist das her. Auf den Bermudas. Irgendeine große Gardenparty für die ›St. Johns Ambulance‹, die Marina eröffnete, wenn ich genau unterrichtet bin. Kaum war Mrs Badcock vorgestellt worden, da begann sie eine lange Geschichte zu erzählen, wie sie damals mit Grippe im Bett gelegen habe und trotzdem aufgestanden und hingegangen sei und meine Frau ihr ein Autogramm gegeben habe, als sie sie darum bat.«
Wieder erschien das ironische Lächeln auf seinem Gesicht.
»So was, möchte ich sagen, kommt häufig vor, Chefinspektor. Gewöhnlich stehen die Leute Schlange bei meiner Frau, um ein Autogramm zu erhalten, und dies ist dann ein Augenblick, an den sie häufig zurückdenken. Verständlicherweise ist es ein aufregendes Erlebnis für sie. So ist es nur normal, dass meine Frau sich nicht an einen von tausend Autogrammjägern erinnern kann. Sie kann sich absolut nicht daran erinnern, Mrs Badcock schon einmal gesehen zu haben.«
»Sehr
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