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Mord im Spiegel

Mord im Spiegel

Titel: Mord im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Unzulänglichkeit, der Angst, dass sie die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen können. Es wird behauptet, dass Schauspieler und Stars eitel seien. Das stimmt nicht. Sie sind nicht eingebildet. Sie sind von sich besessen, ja, das schon, aber sie brauchen auch ständig Rückenstärkung. Ständig müssen sie bewundert und gelobt werden. Fragen Sie Jason Rudd! Er wird Ihnen das Gleiche erzählen. Man muss ihnen das Gefühl geben, dass sie es schaffen, sie davon überzeugen, wieder und immer wieder, bis man sie dort hat, wo man sie haben will. Aber sie quälen sich immer mit Minderwertigkeitskomplexen herum. Und deshalb sind sie das, was man mit einem gewöhnlichen, sehr unwissenschaftlichen Wort als ›nervös‹ bezeichnet. Verdammt nervös! Nichts als ein Bündel Nerven. Und je nervöser sie sind, desto bessere Schauspieler sind sie.«
    »Sehr interessant«, meinte Craddock. »Wirklich.« Er schwieg einen Augenblick. »Nur begreife ich nicht, wie Sie…«
    »Ich habe nur versucht, Ihnen Marina Gregg zu schildern«, sagte Gilchrist. »Sicherlich haben Sie ihre Filme gesehen.«
    »Sie ist eine großartige Schauspielerin«, erwiderte Craddock. »Sie besitzt Ausstrahlung, ist schön, sympathisch.«
    »Ja«, sagte Gilchrist, »das stimmt. Und sie hat gearbeitet wie eine Verrückte, um so weit zu kommen, wie sie gekommen ist. Nur sind dabei ihre Nerven auf der Strecke geblieben, und besonders kräftig ist sie auch nicht. Jedenfalls nicht so kräftig, wie es nötig wäre. Sie fällt von einem Extrem ins andere, mal ist sie verzweifelt, dann wieder begeistert. Sie kann nichts dafür. Es ist ihre Veranlagung. Sie hat in ihrem Leben schon viel durchmachen müssen, zum Teil war es ihre eigene Schuld, zum Teil nicht. Keine Ehe war glücklich. Rudd ist natürlich eine Ausnahme. Sie ist mit einem Mann verheiratet, der sie innig liebt, und das bereits seit Jahren. Diese Liebe ist ihr Schutz. Sie ist glücklich. Wie lange es dauert, kann ich nicht beurteilen. Die Schwierigkeit mit ihr ist, dass sie entweder glaubt, endlich sei ein Märchen wahr geworden und dies sei der schönste Augenblick in ihrem Leben, der schönste Fleck auf der Erde, nichts könne mehr schief gehen und sie würde nie wieder unglücklich sein. Oder sie glaubt, sie sei ruiniert, eine Frau, die nie geliebt wurde, nie glücklich war und nie glücklich sein wird.« Er lächelte und fügte trocken hinzu. »Wenn sie auf halbem Weg Halt machen könnte, wäre das wunderbar – auch für sie. Und die Welt würde eine große Künstlerin verlieren.«
    Er schwieg, und auch Craddock sagte nichts. Er fragte sich, warum Gilchrist ihm dies alles erzählt hatte. Warum diese genaue Schilderung von Marina Gregg? Gilchrist sah ihn an. Es war, als wolle er ihn drängen, eine bestimmte Frage zu stellen. Craddock grübelte darüber nach, was das für eine Frage sein könnte. Schließlich fragte er langsam und tastend:
    »Die Tragödie, die sich hier abgespielt hat, hat sie sehr aufgeregt?«
    »Ja, sehr.«
    »Mehr als normal?«
    »Das hängt davon ab«, antwortete Gilchrist.
    »Wovon?«
    »Von dem Grund, warum sie so durcheinander ist.«
    »Vermutlich«, sagte Craddock, sich weiter vortastend, »war es für sie ein großer Schock, dass mitten auf dem Fest plötzlich ein Gast starb.«
    Im Gesicht seines Gegenübers regte sich nichts. »Oder«, fügte er hinzu, »steckt noch mehr dahinter?«
    »Man weiß nie«, sagte Gilchrist, »wie die Leute reagieren. Ganz gleich, wie gut man sie kennt. Immer wieder erlebt man Überraschungen. Marina hätte die Geschichte auch ziemlich gelassen hinnehmen können. Sie ist ein weichherziger Mensch. Vielleicht hätte sie gesagt: ›Ach, die Ärmste, wie tragisch. Ich verstehe nicht, wie das passieren konnte.‹ Sie hätte Mitgefühl zeigen können, ohne dass es sie tiefer beeindruckte. Schließlich kann auch im Filmstudio oder bei den Dreharbeiten mal jemand sterben. Oder sie hätte den Fall hochspielen können, unbewusst natürlich, weil gerade nichts Aufregendes passierte. Sie hätte eine Szene machen können. Oder aber es steckt etwas ganz anderes dahinter.«
    Craddock beschloss, den Stier bei den Hörnern zu packen. »Ich wünschte«, sagte er, »Sie würden mir verraten, was Sie wirklich denken.«
    »Ich weiß es nicht genau«, antwortete Gilchrist. »Ich bin mir nicht klar.« Er schwieg und meinte dann: »Es gibt eine gewisse berufliche Schweigepflicht, verstehen Sie. Zwischen Arzt und Patient besteht immer eine besondere

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