Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
Er war zornig wie ein verwundetes Krokodil, aber noch klar genug im Kopf, um zu erkennen, dass Chaemepe kräftiger war als er. Er würde ihm die Nase oder den Kiefer brechen, sodass er für den Rest seines Lebens Brei schlürfen müsste. Baketamun würde seinen zerschlagenen Mund niemals mehr küssen. Also fragte sich Rechmire ebenso verzweifelt wie beschämt, wie er wieder heil aus dieser Lage herauskäme, ohne dabei seine Ehre zu verlieren. Ein Sklave rettete ihn. Ein großer Nubier trat in den Hof, verneigte sich leicht und verkündete mit der dröhnenden Stimme eines geübten Ausrufers: »Der Prophet der Maat, der Tschati des Oberen Reiches, der Berater und Vertraute des Pharaos, der ehrwürdige Mentuhotep!«
Vier Medjai, die mit Knüppeln, kurzen Schwertern und glänzend polierten hethitischen Schilden bewaffnet waren, schritten durch ein Portal in den Innenhof und bauten sich zu beiden Seiten der Tür auf. Dann kam Mentuhotep, blieb für einen Moment stehen und musterte die Schreiber.
Rechmire und die anderen streckten die offenen Hände in Kniehöhe vor und verbeugten sich tief. Ihr Herr war zweiundvierzig Jahre alt, hatte aber den Körper eines dreißigjährigen Schwertkämpfers: Er war groß, hatte mächtige Schultern und eine fassförmige Brust. Sein Kopf dagegen sah aus, als wäre er von einem launischen Gott für einen ganz anderen Körper geschaffen worden. Der Tschati trug eine kurze, dunkle, aber schlichte Perücke; seine Augen hatten einen leichten Silberblick, die Pupillen schienen immer irgendwie auf die Spitze seiner schön geformten, schmalen Nase gerichtet zu sein. Seine Lippen waren fein geschwungen, seine Haut auffallend hell. Er sah kultiviert und sanft aus.
Doch Rechmire wusste, dass nur das Erstere wirklich zutraf. Schon Mentuhoteps Vater Beknechon war einst Tschati gewesen. Er selbst war in Piramesse am Hof erzogen und noch vom großen Ramses in dessen letztem Jahr als Tschati berufen worden. Niemand, so munkelten die Schreiber in seinem Palast stolz, konnte sich rühmen, Pharao Merenptah so oft die Füße küssen zu dürfen wie er. Mentuhoteps Sohn Amunpanefer war, obwohl kaum zwanzig Jahre alt, bereits einer der glänzendsten Höflinge in Piramesse. Ganz Theben war sicher, dass er irgendwann den Posten und die Macht seines Vaters erben würde.
Mentuhotep trug seine Amtstracht: Ein langes, bis unter die Achseln reichendes Gewand aus feinstem weißen Leinen und eine goldene Statuette einer Göttin mit einer Straußenfeder auf dem Kopf, der Hieroglyphe für den Laut »M« – und für Maat, die Tochter des Re, die Schutzherrin von Richtigkeit, Gerechtigkeit und Wahrheit, also all der Dinge, die der Tschati für seinen Pharao bewahren helfen sollte.
Ihm folgten zwei große nubische Wedelträger, die ihm Luft zufächelten, sowie einige ältere, ranghohe Schreiber.
Der Tschati starrte einige Augenblicke auf die gebeugten Rücken der jungen Schreiber, dann klatschte er in die Hände als Zeichen dafür, dass sie sich wieder aufrichten durften.
»In neun Tagen werden wir, wie ihr alle wisst, das OpetFest feiern«, begann Mentuhotep. Seine Stimme war kräftig und autoritär. »Der Pharao wird uns, wie jedes Jahr, besuchen.«
Die Schreiber murmelten ein kurzes Gebet an Amun, dem Pharao noch dreimal dreißig Jahre zu gewähren.
»Des Pharaos Haus der Ewigkeit am Ort der Wahrheit nähert sich der Vollendung. Es ist möglich, dass der Pharao sein Grab zu sehen wünscht, während er in Theben weilt. Deshalb müssen wir uns selbst davon überzeugen, dass die Arbeiten gut vorangeschritten sind. Ich werde über den Nil gehen und das Tal inspizieren, in dem unsere vergöttlichten Herrscher ruhen. Einige von euch sollen mich begleiten.«
Ein älterer Schreiber trat hervor, entrollte einen Papyrus und starrte mit kurzsichtig zusammengekniffenen Augen auf die Namensliste. Dann schritt er in die Mitte des Hofes und zeigte mit einem gichtigen Finger auf einige junge Schreiber: »Du, du, du, du und du – mitkommen!«
Rechmires Herzschlag setzte für einen Moment aus. Der ältere Schreiber hatte auch auf ihn gewiesen. Das konnte doch nur bedeuten, sagte er sich, dass man an höherer Stelle seine Arbeit schätzte. Er hätte am liebsten vor Freude und Stolz gejubelt, doch zwang er sich zu einer tiefen Verbeugung und unterwürfigen Miene.
Das Einzige, was sein vollkommenes Glück störte, war, dass auch Chaemepe zu einem Begleiter des Tschati ernannt worden war.
Mentuhotep klatschte erneut in die
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