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Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman

Titel: Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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mehr als einen Schemen erkennen konnte. Sennodjem blickte ihn mit einer Mischung aus Unterwürfigkeit und Missvergnügen an. Die anderen – ein paar Arbeiter und zwei Medjai – zeigten ihm nur ausdruckslose Gesichter.
    Rechmire verachtete sie. Er verachtete Männer, die in Schmutz und Staub arbeiten mussten und die Hieroglyphen nicht lesen konnten. Er verachtete ihre elenden Häuser, die noch kleiner waren als die Behausung, die er sich im Hafenviertel eingerichtet hatte. Er verachtete das Dorf, das so abgeschieden war, dass man nicht einmal den Nil sehen konnte. Er sehnte sich aus tausend Gründen zurück nach Theben.
    Kaaper war Vorlesepriester im Großen Tempel des Amun – ein ziemlich hoher Rang in der Hierarchie der Diener des Gottes. Er war der Einzige, den Rechmire als Gleichgestellten akzeptierte (genau genommen stand er sogar ein gutes Stück über ihm), also wandte er sich an ihn.
    »Amuns goldener Wagen steht schon weit im Westen«, begann er, »und ich möchte die Leiche sehen, bevor die Sonne hinter dem Horizont verschwindet. Führt mich zu ihr!«
    Doch statt des Priesters antwortete Sennodjem: »Verzeih mir, aber wir konnten deinen Namen nicht verstehen«, sagte er mit öliger Freundlichkeit.
    Rechmire unterdrückte einen Fluch. »Ich bin Rechmire, Sohn des Raia«, stellte er sich vor.
    »Willkommen am Ort der Wahrheit«, entgegnete der Zweite Schreiber und deutete eine Verbeugung eher an, als dass er sie wirklich tat. »Ich schätze es sehr, dass uns der Tschati in seiner großen Güte einen seiner dafür sicherlich bestens qualifizierten Schreiber schickt, um uns bei der Suche nach dem Täter zu helfen. Obwohl ich andererseits sicher bin, dass wir den Frevler auch allein gefunden hätten. Ich werde alles tun, damit er so schnell wie möglich auf den Pfahl gespießt wird.«
    »Das glaube ich wohl«, entgegnete Rechmire kalt. »Denn erst, wenn der Mörder gefunden ist, wird mein Herr Mentuhotep einen neuen Ersten Schreiber für dieses Dorf bestimmen. Und wer anders könnte dies sein, als der bisherige Zweite Schreiber?«
    Ein Muskel in Sennodjems feistem Gesicht zuckte, doch er sagte nichts.
    »Du wolltest den Toten sehen, Rechmire. Also komm!«, rief Kaaper.
    Der Priester drehte sich um und streckte die Hand aus. Ein junger Arbeiter sprang eilfertig hinzu und führte ihn auf direktem Wege zum kleinen Amuntempel.
    Kenherchepeschef lag im Vorhof des Heiligtums, aufgebahrt auf eine große hölzerne Kiste, die irgendjemand hastig dort hingestellt hatte. Rechmire schluckte, als er in den Hof trat. Er fürchtete sich, wie alle vernünftigen Menschen, vor unbestatteten Toten und hatte noch nie einen aus der Nähe gesehen. Wenn die Medjai der Steuereintreiber Bauern geprügelt hatten, bis ihre Kas und Bas entflohen waren, oder wenn Betrunkene auf den schmutzigen Gassen des Hafenviertels von Theben in den ewigen Schlaf gesunken waren, dann hatte er sich immer schnell weggedreht, hastig eine magische Schutzformel gemurmelt und Osiris angefleht, bloß nicht die falsche – nämlich seine, Rechmires – Seele in das Totenreich mitzunehmen.
    Rechmire bezwang sich und beugte sich über den Toten, während die anderen am Eingang zum Tempel stehen geblieben waren. Nur Kaaper blieb an seiner Seite.
    Kenherchepeschef war, schätzte Rechmire, ungefähr fünfundfünfzig Jahre alt. Er war klein und dick, aber wahrscheinlich auch ziemlich kräftig gewesen, denn seine Oberarme waren fest und sein Brustkorb mächtig. Sein Kopf war kahl, seine Wangen so fleischig, dass sie die Augen zu Schlitzen verengten. Seine Nase war rot wie die von einem Mann, der regelmäßig Wein trank; sein Mund war unsympathisch klein. Seine Hände passten nicht zu seinem plumpen Körper: Sie waren auffallend groß und feingliedrig wie die eines Harfenspielers.
    Rechmire wunderte sich, dass der Tote einen groben Wollumhang trug und eine Kappe, die ihm allerdings halb vom Kopf gerutscht war, obwohl es auf die heißeste Zeit des Jahres zuging. In Kenherchepeschefs Brust klaffte eine große, senkrecht verlaufende Wunde, die stark geblutet haben musste, denn der Umhang und das Untergewand aus weißem Leinen waren dunkel verfärbt. Als er näher herankam, bemerkte Rechmire auch noch eine kleine Wunde am Hinterkopf des Toten.
    »Er hat einen Schlag auf den Kopf bekommen und dann einen Dolchstoß in die Brust«, murmelte er.
    »Es war umgekehrt«, warf Kaaper mit heiserer Stimme ein.
    »Er empfing den tödlichen Stoß, stürzte wie von Amuns Fluch

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