Mord in Babelsberg
verschweigen können.
»Wir … haben ein paarmal miteinander geschlafen. Es ist Jahre her. Bevor ich dich kennengelernt habe.«
Clara atmete tief durch. »Sie war deine Geliebte?«
Er stand auf, schob die Hände mit einer heftigen Bewegung in die Hosentaschen und trat ans Fenster. Er schaute hinaus, ohne etwas zu sehen, und drehte sich dann abrupt um. »Eigentlich nicht.«
»Eigentlich nicht?« Claras Stimme klang skeptisch.
»Es hatte nichts mit Liebe zu tun. Ich … manchmal war ich allein, trotz Ilse und der Kinder. Wir haben uns in einem Café kennengelernt, sind irgendwie ins Gespräch gekommen. Mir war bald klar, dass sie von reichen Männern lebte, aber das war mir egal. Ich wollte sie nicht für mich allein. Wenn ich zuihr ging, kam es mir vor, als würde ich für ein paar Stunden aus dem Alltag in eine andere Welt verschwinden.«
Er blickte auf. Clara sah ihn fragend an, aber der verletzte Blick war aus ihren Augen gewichen.
»Warum hast du mir nie von ihr erzählt?«
Er schluckte. »Weil ich nicht mehr an sie gedacht habe.«
»Im Ernst?«
»Es war vorbei. Seit dem Tag, an dem wir uns kennengelernt haben.« Er merkte, dass seine Stimme lauter geworden war, und zwang sich, ruhig zu atmen. »Sie war nie ein Teil meines Lebens. Das war von Anfang an klar. Sie hat nie mehr von mir verlangt, als ich ihr geben konnte, und nie verschwiegen, dass ich nicht der Einzige war.«
»Aber du hast mir von dem Mord erzählt und trotzdem nicht gesagt, dass du sie kanntest. Spätestens da …«
Er ließ sich aufs Sofa fallen und stützte den Kopf in die Hände. »Ich habe mich geschämt. Als ich die elegante Wohnung sah und die Kleidung, die Pelze … es war so nüchtern. So geschäftsmäßig.« Er wusste nicht, wie er es erklären sollte, und konnte nur hoffen, dass Clara es trotz der unzulänglichen Worte verstand.
»Nicht für dich. Und nicht für sie. Bei euch war es anders. Es ging nicht um Geld, sondern ums Vergnügen oder einfach darum, nicht allein zu sein.«
Er sah überrascht hoch. Clara hatte die richtigen Worte gefunden. »Ja. Es war anders, auch wenn es nichts mit Liebe zu tun hatte. Wärme, Gesellschaft, Ablenkung. Das haben wir beieinander gefunden. Dafür war ich ihr dankbar. Und deswegen tut es mir leid um sie. Es war ein Schock, als ich die Leiche erkannt habe, so viel Blut …« Er fuhr sich mit beiden Händen durchs Gesicht.
Clara zögerte, dann stand sie auf und setzte sich neben ihn, ohne ihn zu berühren. »Und das Foto?«
»Sonnenschein hat es bei der Durchsuchung ihrer Wohnunggefunden. Ich hatte völlig vergessen, dass Marlen eine Kamera besessen und eine Zeit lang ständig damit experimentiert hatte. Er hat es mir gegeben. Das rechne ich ihm hoch an.«
»Hättest du deinen Vorgesetzten nicht sagen müssen, dass du sie gekannt hast?«
Er seufzte. »Ja. Deswegen hatte ich auch Streit mit Robert. Aber ich wollte diesen Fall unbedingt behalten. Vermutlich ist es dumm und stur, aber …«
»Du wolltest ihren Mörder finden«, sagte Clara leise und rückte ein wenig näher heran.
Leo nickte. »Man kann den Tod eines Menschen bedauern, selbst wenn man ihn nicht geliebt hat.«
Er spürte, wie sie den Kopf an seine Schulter lehnte. Erleichtert schloss er für einen Moment die Augen. Dann spürte er das Zittern und drehte sich vorsichtig zur Seite. »Weinst du?«
»Nein.« Sie lachte so leise, dass er es kaum hören konnte.
Er rückte ein Stück weg, legte ihr die Hände auf die Schultern und sah sie ungläubig an. »Was ist mit dir?«
»Ich bin nur so froh.«
Er bemerkte den Schimmer in ihren Augen. »Du weinst ja doch.«
»Unsinn. Aber ich habe mir Sorgen gemacht. Du hast dich so seltsam verhalten in letzter Zeit. Ich dachte, es hätte damit zu tun, dass ich keine Kinder bekommen kann. Dass es dir doch etwas ausmacht.« Sie biss sich auf die Unterlippe und schaute zur Seite.
Leo zog sie an sich, und so saßen sie, die Arme umeinandergeschlungen, bis Georg und Marie ins Wohnzimmer stürmten.
19
MITTWOCH, 16. JUNI 1926
Dr. Erich Hartung las zu Hause keine Zeitung mehr. Seit Erika gestorben war, hatte er die Freude an einem geruhsamen, ausgedehnten Frühstück verloren. Er machte sich Brote oder kaufte etwas auf dem Weg in die Klinik, ließ sich von der Sekretärin Kaffee kochen und erledigte Essen und Zeitungslektüre am Schreibtisch.
Als er die Bilder sah, erstarrte er für einen Moment.
A UFRUF
Die Kriminalpolizei bittet um Ihre Mithilfe.
Im Zusammenhang mit zwei
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