Mord in Babelsberg
seinen Eintopf, ohne aufzublicken.
»Meinst du, es hat mit dem zu tun, was ihr passiert ist? Wir wissen noch immer nicht, warum sie …«
»Ich hab Feierabend und will meine Ruhe, verstanden?« Er stand so unvermittelt auf, dass sein Stuhl beinahe umkippte, nahm das letzte Stück Brot und schlug die Küchentür hinter sich zu.
Als Leo nach Hause kam, hörte er von der Tür aus das Klappern einer Schreibmaschine. »Klingt fast wie im Büro«, sagte er und trat lächelnd ins Wohnzimmer. »Und ich hatte mich auf einen ruhigen Feierabend gefreut.«
Clara sprang auf und umarmte ihn.
»Ich habe sie gebraucht bekommen. Von einem Rechtsanwalt, der gelegentlich bei mir kauft.«
Er zog das Jackett aus und warf es über einen Stuhl. »Und wofür brauchst du sie?«
Clara ergriff seine Hand, zog ihn in die Küche und stellte ihm einen Teller Gulasch hin. Dann öffnete sie eine Flasche Bier und goss zwei Gläser ein. »Eigentlich wollte ich noch Sekt kaufen, aber das habe ich nicht mehr geschafft.«
Er setzte sich, stieß mit ihr an und warf ihr einen fragenden Blick zu. »Jetzt bin ich aber neugierig.«
Clara wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und lehnte sich zurück. »Erinnerst du dich an die Journalistin, die mit Henriette Strauss befreundet war?«
Natürlich hatte er den Fall nicht vergessen. Dr. Henriette Strauss war eines der Opfer gewesen, bei denen er sich aufrichtig gewünscht hatte, er hätte sie kennengelernt.
»Ja, wie hieß sie doch gleich?«
»Vera Kant. Sie war vor ein paar Wochen bei mir im Laden und hat gefragt, ob ich Lust hätte, kleine Rezensionen zu verfassen. Ich soll meine Erfahrungen einfließen lassen und davon erzählen, was die Leute hier im Viertel gerne lesen. Geschichten aus dem Bücherleben, wie sie es nannte.« Sie schaute Leo erwartungsvoll an. »Ich habe nichts davon erzählt, weil ich nicht wusste, ob etwas daraus wird. Aber jetzt ist es sicher. Als mein Kunde gestern in den Laden kam, habe ich gefragt, ob er eine alte Schreibmaschine zu verkaufen hat. Und heute konnte ich sie abholen.«
Leo hob erneut das Glas. »Auf meine erstaunliche Frau, die mich immer wieder überrascht.«
»Auf meinen erstaunlichen Mann, dessen Gulasch gerade kalt wird. Und der kurz vor der Aufklärung eines großen Falls steht.«
Leo lachte und begann zu essen, ließ die Gabel aber wieder sinken. »Woher weißt du das nun wieder?«
»Nach vier Jahren merke ich das.«
»Woran?« Das Gulasch war köstlich, die Klöße genau richtig. Er fragte sich, wann Clara das noch gekocht haben mochte. Oder war Ilse eingesprungen?
»Dein Schritt, als du zur Tür hereinkamst. Er war leichter als sonst. Du hast das Jackett nicht an die Garderobe gehängt, sondern bist sofort hereingekommen.«
»Weil ich dachte, Fräulein Meinelt sitzt bei mir im Wohnzimmer und macht Überstunden«, warf er lachend ein.
»Lass mich ausreden«, erwiderte Clara streng. »Ich erkenne es an deinem Blick.«
»Du hast recht, ich wollte dich nur ärgern. Es geht voran. Morgen ist der entscheidende Tag …« Er zögerte.
Clara trank von ihrem Bier. »Irgendwelche Zweifel?«, fragte sie, als Leo fertig war.
Er trat ans offene Fenster und zündete sich eine Zigarette an. Dann erzählte er ihr von Johanna Gerber.
»Gibt es einen anderen Weg?«
»Nein. Ohne sie kommen wir nicht weiter. Ich hoffe, dass ich ihren Arzt überzeugen kann.« Er schloss die Augen und stieß den Rauch aus. »Wenn wir nichts von ihr erfahren, muss ich Druck auf Hellwig ausüben, was neuen Ärger bedeutet. Ich glaube, er weiß etwas, aber ich würde ihm lieber mit einer Zeugenaussage in der Hand gegenübertreten, als ihm Daumenschrauben anzulegen.«
»Dann musst du es eben richtig anfangen mit Johanna Gerber«, sagte Clara zuversichtlich. »Ich weiß, dass du das kannst. Überzeuge ihren Arzt, und dann stellst du ihr die Fragen …«
Er drückte die Zigarette aus, trat vom Fenster weg und zog Clara von ihrem Stuhl hoch. »Zeigst du mir, was du vorhin geschrieben hast? Wenn meine Frau Journalistin wird, will ich auch mit ihr angeben können.«
22
DONNERSTAG, 17. JUNI 1926
Hartungs Reaktion fiel noch heftiger aus als befürchtet. »Ausgeschlossen, Herr Wechsler! Das dulde ich nicht. Das Wohl meiner Patientin genießt absoluten Vorrang.«
Leo zwang sich, ruhig zu bleiben. Er war froh, dass er Robert mitgenommen hatte; sein Freund und Kollege war der Einzige, den er in dieser schwierigen Lage dabeihaben wollte.
»Johanna Gerber ist unsere wichtigste
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