Mord in Babelsberg
teures Briefpapier dafür gekauft. Sie haben mehrere Versuchegebraucht, bis Sie mit dem Brief zufrieden waren. Dann haben Sie ihn in den Umschlag gesteckt und Ihren ganzen Mut zusammengenommen und sind in die Friedrichstraße gefahren.«
Leo spürte Walthers Blick, konzentrierte sich aber ganz auf die junge Frau. Er sah, wie sich ihre Hände vom Schoß bewegten und fest um die Stuhlkante schlossen.
»Sie sind in den ersten Stock gegangen und haben an die Tür geklopft. Eine Sekretärin hat Sie hereingebeten. Sie waren sehr aufgeregt, haben vielleicht ein bisschen gestottert, als Sie ihr die Bewerbung gegeben haben. Dann kam ein Mann aus seinem Büro. Viktor König. Ich habe Ihnen sein Foto gezeigt.«
Sie presste die Lippen aufeinander, die Hände umklammerten den Stuhl noch fester als zuvor, doch ansonsten blieb sie ruhig.
»Er hat sich die Bewerbung angesehen und Ihnen gesagt, dass er leider keine Schneiderinnen beschäftigt. Er war freundlich, hat Ihnen vielleicht Mut gemacht oder einen Rat gegeben, wohin Sie sich wenden können. Dann hat er Ihnen die Bewerbung zurückgegeben. Und Sie sind nach Hause gefahren.«
Nun wurde es schwieriger. Bisher hatte Leo nur Ereignisse wiedergegeben, von denen sie sicher wussten oder die mit großer Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprachen.
»Gleich müssen Sie mir helfen, Fräulein Gerber. Ich weiß, dass Sie eine Frau kennengelernt haben, kurz nachdem Sie sich dort beworben hatten. Eine schöne, elegante Frau mit silberblondem Haar. Sie hat sich mit Ihnen angefreundet. Sie war mit Ihnen beim Friseur und hat Ihnen im Kaufhaus Gerson Seidenstrümpfe gekauft. Und ich glaube, Sie hat Ihnen etwas versprochen. Sie zum Film zu bringen vielleicht. Ihnen eine Stelle in einem Atelier zu besorgen. War es so?«
Die Kopfbewegung war so winzig, dass er sie fast für ein unwillkürliches Zucken gehalten hätte. Sollte es ein Nicken gewesen sein?
»War es diese Frau?« Er holte ein Foto aus der Innentasche seines Jacketts. Marlen. Abendkleid, silberblonder Bubikopf. Leo wagte kaum zu atmen, als er ihr das Foto hinhielt.
Dann sah er, wie ein Tropfen darauf landete. Er blickte hoch. An Johanna Gerbers Wimpern hing noch eine zweite Träne.
Ihre Stimme klang rau und ungeübt.
»Sie war auf einmal da, als ich von der Arbeit kam. Stand draußen auf der Straße. Sie hat mich angesprochen. Sie hätte von meiner Bewerbung gehört und könnte mir eine Stelle beim Film besorgen. Sie war so nett.«
»Ich verstehe. Warum war sie mit Ihnen beim Friseur und im Kaufhaus?«
»Sie … sie hat gesagt, ich muss ein bisschen schicker werden, wenn ich beim Film arbeiten will. Da wären lauter schicke Leute.«
Leo schluckte. Auf einmal war es sehr heiß im Zimmer, und er fragte sich, ob er hören wollte, was sie ihm über Marlen erzählte. Ihm kam unwillkürlich das Märchen vom Rattenfänger in den Sinn.
»Sie hat sich mit Ihnen getroffen, Ihnen ein bisschen feines Benehmen beigebracht« – ein Schuss ins Blaue, doch sie widersprach nicht – »elegante Strümpfe gekauft, ist mit Ihnen zum Friseur gegangen.«
Sie nickte. Dann spürte er, wie sie sich innerlich von ihm entfernte. Sie schloss die Augen. »Jetzt bin ich müde.«
Leo stand auf. »Wir machen eine Pause. Ich weiß, es ist anstrengend für Sie, aber Sie machen das sehr gut.«
Vor der Tür trafen sie sich mit Hartung, der eine Schwester Kaffee für die Besucher und Wasser für die Patientin bringen ließ. Dann nickte er Leo zu. »Kompliment, Herr Wechsler. Das war nicht übel.«
Walther grinste über seine Schulter hinweg.
Ernst Köhler klappte den Mund auf und wieder zu, als fünf Kriminalbeamte die Werkstatt betraten. Fritz Hasselmann wies sich aus. »Das sind meine Kollegen Sonnenschein, Friedrichs, Gärtner und Dohmke. Und das ist der Durchsuchungsbeschluss, richterlich unterschrieben, gültig für die Räume und das Gelände des Regina-Filmateliers, Franz-Josef-Str. 14a, Berlin-Weißensee.«
Er hielt ihm das Dokument vor die Nase. Der Mann stank schon am Morgen nach Fusel, wirkte aber erstaunlich wach. Vermutlich gehörte er zu den Trinkern, die nur arbeitsfähig waren, wenn sie ihr Soll intus hatten.
»Das ist doch …« Köhler verstummte und sah zur Tür. »Ich wusste, dass der Kerl keine Ruhe gibt.«
»Falls Sie damit meinen Vorgesetzten Kommissar Wechsler meinen, bin ich ganz Ihrer Meinung«, entgegnete Hasselmann grinsend und schaute dann die Kollegen an. »Verteilt euch und legt los. Hier drinnen sehe ich mich selbst
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