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Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Titel: Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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einer der Mitverschwörer verraten hat. Praktisch alle anderen entkamen, doch er nicht. Man hat ihn erbarmungslos durchgeprügelt und dann an Ort und Stelle erschossen, weil er nicht bereit war, die Namen seiner Mitverschwörer preiszugeben.«
    Obwohl Charlotte aus der Art, wie Adriana über das Ende ihres Vaters gesprochen hatte, wusste, dass sich dahinter eine Tragödie verbarg, war sie verblüfft.
    »Wie ganz und gar entsetzlich. Aber das liegt dreißig Jahre zurück. Wieso interessiert sich unser Staatsschutz heute noch dafür?«
    »Serafina war dabei. Sie hat die kleine Adriana damals gerettet«, sagte er schlicht.
    »Das Kind hat das alles mit ansehen müssen?« Charlotte tat das Herz im Leibe weh. Sie dachte daran, wie ihre eigene Tochter Jemima mit acht Jahren gewesen war, mit ihrem weichen, kindlichen Gesicht, dem schmalen Hals über dem noch in keiner Weise fraulich gerundeten Körper, ein Kind, das furchtlos in die Welt geblickt hatte. Am liebsten hätte sie die Zeit zurückgedreht und das kleine Mädchen beschützt, das Adriana damals gewesen war. Die Unmöglichkeit quälte sie.
    Pitt nickte. »Serafina hat sie von dort fortgebracht. Weil sie die Kleine wohl nicht bei sich behalten konnte, hat sie sie ihren Großeltern übergeben.«
    Charlotte kannte Pitt lange genug, um selbst die Schlussfolgerung zu ziehen. »Hat Serafina gewusst, wer Adrianas Vater verraten hatte? Fürchtest du, Adriana könnte es von ihr erfahren haben?«
    »Ich fürchte, sie hat Mrs. Montserrat selbst für die Verräterin gehalten«, gab er zu.
    Charlotte saß wie versteinert da. Jetzt begriff sie, warum Pitt so gequält ausgesehen hatte. »Du meinst, sie könnte sie aus Rache umgebracht haben?«, fragte sie leise. »Die arme alte Frau lag doch ohnehin im Sterben. Zu einer so widerwärtigen Tat wäre Adriana nie im Leben fähig!«
    »Auch der Tod ihres Vaters war widerwärtig, Charlotte«, gab er ihr zu bedenken. »Einer aus den eigenen Reihen hat ihn verraten. Außerdem waren Serafina und Dragovic, wie ich erfahren habe, ein Liebespaar. In einer solchen Situation wäre das die schlimmste Art von Verrat. Man hat den Mann vor den Augen des eigenen Kindes misshandelt und dann erschossen. So etwas schreit geradezu nach Rache.«
    Sie dachte an ihren eigenen Vater, Edward Ellison. Es war ihr unmöglich, sich die Situation vorzustellen. Sie hatte ihn ausschließlich als streng, wenn auch liebevoll, kennengelernt, doch ohne die Art von Leidenschaft, die Revolutionäre wohl brauchten, Männer, die bereit waren, im Kampf gegen Ungerechtigkeit unsagbares Leiden auf sich zu nehmen. Doch wie gut hatte sie ihn gekannt? Genau genommen nicht besonders gut. Gewiss, als Vater, das ja – aber als Mensch? Sie hatte ihn einfach hingenommen, wie er war. Er war stets da gewesen und hatte beim Abendessen würdevoll am Kopfende des Tisches gesessen, war sonntags zur Kirche gegangen, hatte abends vor dem Kaminfeuer die Beine übereinandergeschlagen und seine Zeitung gelesen. Er hatte für Sicherheit gestanden, für Behaglichkeit und die Unveränderlichkeit des täglichen Lebens, für all das, was einem Menschen erst dann fehlte, wenn es nicht mehr da war. Sein Tod hatte eine Art von Einsamkeit in ihr hervorgerufen, die sie sich nicht hatte vorstellen können, bevor es dazu gekommen war.
    Entsprechendes hatte wohl Adriana als Kind erlebt, und auf eine ganz und gar grausige Weise, vor ihren Augen, mit Blut und Qual.
    »Es würde nichts nützen«, sagte sie. »Aber ich könnte es mir gut vorstellen.«
    »Weiß Mrs. Blantyre, ob Mrs. Montserrat ihn verraten hat?«, beharrte Pitt. »Falls ja, kann sie das erst vor ganz kurzer Zeit erfahren haben. Wer diese Art von Rache üben will, wartet damit keine dreißig Jahre. Überleg bitte, ist dir zu irgendeinem Zeitpunkt eine Veränderung an ihr aufgefallen? Hat sie überhaupt über sie gesprochen, wenn auch vielleicht nur beiläufig? Hat sich etwas an ihrer Haltung verändert? Hattest du den Eindruck, dass sie einen Schock erlitten hatte? Sofern sie das erfahren hat, kann es unmöglich an ihr vorübergegangen sein, ohne sie tief aufzuwühlen.«
    Sie saß einige Augenblicke still da. Pitt sah ins Feuer und legte Kohlen nach. Im ganzen Haus war kein Geräusch zu hören.
    Während Charlotte in Gedanken jedes Zusammensein mit Adriana durchging, fiel ihr nichts Auffälliges ein. »Es tut mir leid …« Damit war es ihr ernst. Ihre Zuneigung zu der leidenschaftlichen und verletzlichen Adriana rief in ihr tiefes Mitgefühl

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