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Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Titel: Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Charlotte in der Diele den Hörer vom Haken nehmen, als sie sah, wie Minnie Maude aus dem Keller kam und bei ihrem Anblick bis zu den Haarwurzeln errötete. Rasch wischte sich das Mädchen etwas vom Ärmel, lächelte sie verlegen an und wandte sich ab.
    Charlotte beschloss, den geplanten Anruf zu verschieben. Offensichtlich gab es etwas, was die junge Frau beunruhigte, und es war an der Zeit festzustellen, was das war. Daher folgte sie ihr in die Küche und sah, dass sie mit einem Messer in der Hand vor einem Zopf Zwiebeln am Spülstein stand. Eine Zwiebel hatte sie bereits zerschnitten, und der beißende Geruch hing in der Luft.
    Der Esstisch war vollständig abgeräumt, das Geschirr abgewaschen, getrocknet und im Tellerschrank gestapelt. Von der Scheibe Brot, die übrig geblieben war, war nichts zu sehen. War Minnie Maude womöglich in den Keller gegangen, um sie dort zu essen? War sie in solcher Armut aufgewachsen, dass sie es für nötig hielt, in aller Heimlichkeit Reste zu verzehren?
    Charlotte sprach sie mit freundlicher Stimme an.
    Minnie Maude drehte sich zu ihr um. Ihre Augen waren gerötet. Das mochte an der Zwiebel liegen, aber in ihrem Gesichtsausdruck lag auch Angst.
    Charlotte empfand Mitleid und Schuldbewusstsein. Das Mädchen war nur vier oder fünf Jahre älter als Jemima und musste damit rechnen, möglicherweise ihr ganzes Leben ohne jeden eigenen Besitz im Dienst eines fremden Haushalts zu verbringen, wo sie nichts hatte als ein Zimmer, das sie allein bewohnte. Als einzige Bediente im Hause Pitt hatte sie nicht einmal die Möglichkeit, sich mit jemandem anzufreunden. Sicher belastete sie auch, dass sie die von allen im Hause geliebte Gracie ersetzte. Das Alleinsein war zusammen mit dem ständigen Bemühen, sich zu bewähren, womöglich für sie mitunter eine zu schwere Bürde, und so mochte sie den Keller als den einzigen Ort ansehen, an den sie davor fliehen konnte.
    Lächelnd sagte Charlotte: »Wie wäre es, wenn Sie uns etwas von unserem Teegebäck aufbackten? Wir könnten es mit heißer Butter zu einer Tasse Tee essen. Sagen wir, in einer halben Stunde? Sie müssen schwer arbeiten. Da würde Ihnen ein zweites Frühstück bestimmt guttun – und mir auch.«
    Minnie Maudes Schultern entspannten sich sichtbar. »Gern. Ma’am. Dann mach ich das.« Ganz offensichtlich hatte sie befürchtet, dass Charlotte etwas anderes sagen würde, etwas, wovor sie Angst hatte.
    »Bekommen Sie genug zu essen?«, fragte Charlotte. »Sie dürfen so viel nehmen, wie Sie wollen, nicht wahr? Wenn es nötig ist, kochen Sie einfach mehr. Wir brauchen zum Glück nicht zu knapsen. Nur wegwerfen sollte man nichts.« Sie lächelte. »Früher ist es uns durchaus nicht so gut gegangen, da mussten wir außerordentlich sparsam sein, und solche Zeiten sollte man nicht vergessen. Aber jetzt ist genug da, sodass Sie sich satt essen können.«
    »Ich … krieg genug, Ma’am.« In Minnie Maudes Gesicht stieg eine verlegene Röte, aber sie sagte nichts weiter. Langsam, als sei sie unsicher, ob sie mit der Arbeit fortfahren solle oder nicht, wandte sie sich erneut dem Zwiebelschneiden zu.
    Es war Charlotte bewusst, dass sie nicht hinter die Wahrheit gekommen war. Hatte es gar nichts mit Essen zu tun, dass das Mädchen den Keller aufsuchte, wollte sie dort doch einfach nur allein sein? Das ergab ihrer Ansicht nach keinen Sinn. Im Keller war es kalt, und Minnie Maude hatte ein gut eingerichtetes behagliches Schlafzimmer im Obergeschoss. Es musste um etwas anderes gehen. Ohne im Augenblick zu wissen, wie sie weiter vorgehen sollte, kehrte sie in die Diele zurück. Als sie noch einen Schritt vom Telefon entfernt war, klingelte es. Sie nahm ab und meldete sich. Es war Adriana Blantyre. Zwar klang ihre Stimme durch die Leitung ein wenig verzerrt, doch war sie unverkennbar.
    »Wie geht es Ihnen?«, erkundigte sie sich. »Es tut mir leid, Sie so zu überfallen. Mir ist bewusst, dass sich das nicht gehört, aber in einer Privatgalerie gibt es eine interessante Ausstellung, die ich unbedingt sehen möchte, und ich dachte, dass sie Ihnen ebenfalls zusagen würde. Haben Sie schon einmal von Heinrich Schliemann gehört?«
    »Selbstverständlich!«, gab Charlotte rasch zur Antwort. »Er hat dank seiner Liebe zu Homer die Ruinen Trojas entdeckt und ist vor wenigen Jahren gestorben. Geht es in der Ausstellung um ihn?« Es fiel ihr nicht schwer, Begeisterung in ihre Stimme zu legen. Es hätte keinen besseren Anlass geben können, Adriana

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