Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)
ging. »Nein, natürlich nicht.«
Am nächsten Morgen rief er Narraway an, um ihm von Charlottes Unterhaltung mit Adriana Blantyre zu berichten und ihn davon in Kenntnis zu setzen, dass er selbst noch einmal nach Dorchester Terrace gehen werde, um sowohl die Großnichte als auch die Zofe Mrs. Montserrats vor dem Hintergrund der jüngsten Informationen über Tregarron wie auch des gegen Mrs. Blantyre gehegten Verdachts erneut zu befragen.
Dann verabschiedete er sich von Charlotte und machte sich auf den Weg.
Im Haus in Dorchester Terrace angekommen, prüfte Pitt zuerst den Vorrat an Opiumtinktur. Das Ergebnis war eindeutig: Wer auch immer der Frau die zusätzliche Dosis gegeben hatte, musste das Mittel mitgebracht haben. Mithin handelte es sich um einen sorgfältig geplanten Mord.
Anschließend befragte er Mrs. Montserrats Zofe, ehe er Miss Freemarsh zum Gespräch zu sich bat.
Miss Tucker konnte ihm wenig Neues sagen und lediglich ihre früheren Aussagen bekräftigen. In der Tat sei Mrs. Blantyre zu wiederholten Malen gekommen und habe Blumen und einmal eine Packung kandierter Früchte mitgebracht. Sie sei stets sehr freundlich gewesen. Beim letzten Besuch am Vorabend von Mrs. Montserrats Tod habe sie bekümmert gewirkt. Mit bleichem Gesicht bestätigte Miss Tucker, dass Mrs. Blantyre eine Weile allein mit Mrs. Montserrat im Zimmer gewesen war. Sie erklärte, es sei ihr Eindruck gewesen, dass das deren Wunsch entsprochen habe.
Bei Miss Freemarsh lagen die Dinge gänzlich anders. Sie kam erkennbar angespannt in das Wohnzimmer der Haushälterin und schloss die Tür nachdrücklich hinter sich. Zwar trug sie nach wie vor Schwarz, hatte aber eine mehrreihige Halskette mit exquisiten Gagatperlen angelegt, die ihrer Erscheinung zusammen mit den erlesenen Gagatohrringen eine gewisse modische Eleganz verliehen.
»Ich wüsste nicht, was ich Ihnen noch sagen könnte, Mr. Pitt«, begann sie mit einer gewissen Munterkeit. Das Bewusstsein, jetzt Herrin des Hauses zu sein, hatte ihr unübersehbar ein neues Selbstvertrauen verliehen. Von der leichten Nervosität, die er früher an ihr wahrgenommen hatte, war nichts mehr zu sehen. Sie hielt sich aufrechter und wirkte dadurch größer. Vielleicht trug sie auch Schuhe mit höheren Absätzen, was er unter ihrem weich fließenden bodenlangen Rock aus Bombasin nicht erkennen konnte. Unübersehbar hatte sie ein wenig Rouge aufgelegt.
Pitt hatte sich entschieden, ohne Umschweife auf sein Ziel loszugehen, denn das Eintreffen des Herzogs Alois stand kurz bevor, da konnte er keine Zeit mit Höflichkeitsfloskeln vergeuden.
»War Lord Tregarron oft hier?«, fragte er.
»Lord Tregarron?«, wiederholte sie.
Sie versuchte ganz offensichtlich Zeit zu gewinnen. Mit dieser Frage hatte sie nicht gerechnet und musste überlegen, was sie darauf sagen sollte.
»Was erscheint Ihnen an dieser Frage schwierig zu beantworten, Miss Freemarsh?«, erkundigte er sich und sah sie dabei herausfordernd an. »Er hat doch wohl niemanden gebeten, ein Geheimnis daraus zu machen?«
Jetzt trat Zornesröte auf ihr Gesicht. »Selbstverständlich nicht! Das ist ja lächerlich. Ich war nur gerade dabei zu überlegen, wie oft er hier war.«
»Und sind Sie zu einem Ergebnis gelangt?«
»Was für ein Ergebnis? Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen. Es hatte nichts mit mir zu tun. Er hat meine Tante besucht, weil er erfahren hatte, dass sie krank war, und wusste, wie viel sie in jungen Jahren für England getan hat, insbesondere in Bezug auf Österreich und die Beziehungen unseres Landes zu Wien.«
»Wie großherzig von ihm«, sagte er mit kaum spürbarer Schärfe in der Stimme. »Immerhin hat Mrs. Montserrat, soweit ich erfahren habe, leidenschaftlich auf der Seite der Aufständischen gegen den Habsburgerthron gekämpft. Oder stimmt das womöglich gar nicht? Hatte man sie bei den Freiheitskämpfern eingeschleust, damit sie für die Habsburger spionierte und diese Leute verriet?«
Jetzt war sie ausgesprochen wütend. »Wie können Sie so etwas sagen! Es ist empörend! Aber …« Mit einem Mal hielt sie inne, als sei ihr ein neuer und entsetzlicher Gedanke gekommen. »Ich … ich hatte nicht einmal …«, sie zwinkerte. »Ich weiß nicht, Mr. Pitt. Sie hat immer gesagt …« Wieder stockte sie. »Nein, ich weiß es nicht. Vielleicht ging es tatsächlich darum. Das würde erklären, warum Mrs. Blantyre …« Sie schlug sich die Hand vor den Mund, als wolle sie sich selbst daran hindern, einen Schrei
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