Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)
zusammengefaltetes Papier von der Art lag, wie es Apotheker verwendeten, um pulverförmige Medizin zu verabreichen. Er brauchte keine Probe davon an die Lippen zu führen, um zu wissen, was es enthalten hatte.
Schweigend trat er zu Blantyre und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
Blantyre knickte in den Knien ein, stürzte von Schmerz gepeinigt zu Boden und schluchzte erstickt.
KAPITEL 11
Zum wiederholten Mal ging Pitt in seinem Büro die Pläne für den Besuch Herzog Alois’ durch, als Stoker anklopfte.
Pitt hob den Kopf und sah ihm entgegen.
Stoker machte ein besorgtes Gesicht. Ihm war unübersehbar unbehaglich zumute.
»Mr. Blantyre ist hier, Sir. Er möchte mit Ihnen sprechen. Ehrlich gesagt sieht er ziemlich mitgenommen aus. Man könnte glauben, dass er eine ganze Weile nicht gegessen oder geschlafen hat. Entschuldigung, aber ich konnte ihn nicht wegschicken. Ich glaube, es geht um Staum.«
»Führen Sie ihn herein«, gab Pitt zurück. Es gab keine Möglichkeit, das abzubiegen. Mörder kümmerten sich nicht um persönlichen Kummer. Sofern Staum mit Mrs. Blantyre in Verbindung gestanden hatte, konnte das zumindest einen Teil der Sache erhellen. Allerdings wies nichts darauf hin. Sie hatte Serafina getötet, um ihren Vater zu rächen, und anschließend Selbstmord begangen, sei es aus Reue oder Verzweiflung. Es gab keinen Grund anzunehmen, dass sie je von Herzog Alois gehört hatte, der zum Zeitpunkt des Aufruhrs und des Verrats ebenfalls noch ein Kind gewesen sein dürfte, jünger als sie selbst.
»Bringen Sie Cognac und zwei Gläser«, fügte er hinzu und erklärte, als er Stokers Blick sah: »Mir ist bewusst, dass es noch früh am Tag ist, aber vielleicht hat er tatsächlich die ganze Nacht nicht geschlafen. Zumindest muss man ihm etwas anbieten. Der arme Mann.«
»Ich weiß nicht, wie er das ertragen kann«, sagte Stoker mit finsterer Miene. »Die eigene Frau bringt eine alte Dame um, die ohnehin bald gestorben wäre, und nimmt sich dann das Leben. Er sieht mir im Augenblick aus wie jemand, für den es besser wäre, selbst tot zu sein.«
»Führen Sie ihn herein, und bringen Sie den Cognac möglichst bald«, wies Pitt ihn an.
»Sehr wohl, Sir.«
Blantyre kam schon bald darauf herein. Stoker hatte mit seiner Beschreibung recht gehabt. Er sah aus wie jemand, der blind durch einen Albtraum stolperte.
Als sich Pitt erhob, um ihn zu begrüßen, wusste er nicht, was er sagen sollte. Nichts war dem Entsetzen angemessen, das dieser schmerzliche Tod hervorgerufen hatte. Er musste daran denken, wie tief betroffen Charlotte auf die Mitteilung von Adrianas Tod reagiert hatte. Sie war völlig benommen gewesen, als hätten Pitts Worte anfangs keinen Sinn ergeben. Als sie dann begriffen und sich die Qualen vorgestellt hatte, welche die Freundin empfunden haben musste, die absolute Finsternis des Verlusts, hatte sie eine ganze Weile in seinen Armen geweint. Noch nachdem sie schließlich zu Bett gegangen war, hatte sie lange im Dunkeln wach gelegen, und als er sie zärtlich berührte, hatte er gemerkt, dass ihr Gesicht nass von Tränen war.
Sie und Adriana waren lediglich einige Wochen lang befreundet gewesen – unmöglich ließ sich vorstellen, was Blantyre empfinden musste. Nur wer selbst etwas Ähnliches erlebt hatte, konnte einen solchen Zusammenbruch nachvollziehen.
Mühsam wie ein alter Mann und so vorsichtig, als fürchte er, seine Knochen könnten bei der leisesten Berührung brechen, nahm Blantyre Platz. Stoker folgte ihm fast auf dem Fuß mit dem Cognac. Blantyre nahm ihn an. Seine Hände, mit denen er das Glas hielt, als wolle er es wärmen, damit der Duft nach oben stieg, waren so weiß, als zirkuliere kein Blut mehr in seinen Adern.
»Stoker hat gesagt, Sie hätten etwas Neues zu berichten«, sagte Pitt nach einigem Schweigen.
Blantyre hob den Blick. »Staum ist nicht mehr allein in Dover«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Er hat Verstärkung bekommen – einen gewissen Reibnitz. Ein Stutzer und Nichtsnutz ohne jede Spur von Humor. Er sieht aus wie ein Buchhalter, und man erwartet fast, Tintenflecke an seinen Fingern zu sehen. Aber wenn er den Mund auftut, klingt er wie ein besserer Herr, sodass man ihn für den dritten Sohn einer guten Familie halten würde, einen von der Sorte, die bei uns in England den Priesterberuf ergreifen, weil sie nichts Besseres zu tun haben.«
»Reibnitz«, wiederholte Pitt.
Blantyres Gesicht verzog sich. »Johann Reibnitz. Er fällt so wenig auf, dass er beinahe
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