Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)
Entschuldigung für die Vernachlässigung ihrer Pflichten als Gastgeberin und klingelte nach dem Mädchen. Als sie den Tee bestellt hatte, ging sie unruhig auf und ab. Vespasia war im Begriff, sie zu bitten, damit aufzuhören, unterließ es dann aber. In einer solchen Situation hätte möglicherweise nicht einmal sie es fertiggebracht, sich ruhig hinzusetzen.
Als Jack heimkam, informierte ihn der Butler über Lady Vespasias Anwesenheit. Rasch gab er dem Lakaien Hut und Mantel und eilte in den Salon.
Emily stand an den Fenstertüren zum Garten und sah hinaus. Als sie hörte, dass die Tür geöffnet wurde, drehte sie sich sofort um. Vespasia saß auf dem Sofa am Kamin. Auf dem Tablett sah er Kekse und Teetassen – die Emilys war unberührt.
»Gibt es etwas Ernsthaftes?«, erkundigte er sich, nachdem er die Besucherin in angemessener Weise begrüßt hatte.
»Leider ja. Falls du im Raum bleiben möchtest, Emily, musst du dein Wort geben, zu niemandem über das zu sprechen, was du jetzt hörst, nicht einmal zu Charlotte oder Thomas. Es wäre aber besser, wenn du es erst gar nicht erführest.«
»Ich bleibe«, sagte Emily entschlossen.
»Nein«, erklärte Jack. »Falls ich es für angebracht halte, dich einzuweihen, sage ich dir hinterher, worum es geht. Danke, dass du Tante Vespasia bis zu meiner Rückkehr Gesellschaft geleistet hast.«
Emily holte Luft, um ihm zu widersprechen, verließ aber den Raum nach einem erneuten Blick auf sein Gesicht. Vor der Tür teilte sie dem Lakaien mit, dass niemand den Salon betreten dürfe, auch nicht, um das Tablett abzuräumen oder Mr. Radley etwas anzubieten.
Knapp setzte Lady Vespasia Jack über das ins Bild, was sie erfahren hatte, wobei sie nur das an Einzelheiten preisgab, was nötig war, um seine Zweifel zu zerstreuen.
Wie zerschlagen stand er am Kamin. Seine Gedanken jagten sich. Er wollte herausschreien, das sei unmöglich, es müsse sich um ein unglückliches Zusammentreffen von Umständen handeln, die nichts miteinander zu tun hatten und letzten Endes nicht das Geringste bedeuteten.
Doch noch während er die Worte dachte, ging ihm auf, dass es sich nicht so verhielt. Es gab Dinge, von denen Vespasia nichts wusste, die ihm aber dazu verhalfen, das Bild zu vervollständigen, sodass alles so genau zueinanderpasste wie die Teile eines Puzzles. Das meiste davon bezog sich auf die Art und Weise, wie Tregarron Pitt herabgesetzt hatte, doch es gab noch andere Kleinigkeiten, Widersprüche, bei denen er sich bemüht hatte, sie nicht zu sehen. Gelegentlich hatte er auch Dinge von Leuten gehört, die von selbigen nichts hätten wissen dürfen.
»Es tut mir leid«, sagte Vespasia leise. »Ich weiß, dass du Tregarron für einen anständigen Menschen gehalten hast, und mir ist klar, dass es für dich ein wichtiger Schritt nach oben war, als seine rechte Hand tätig sein zu dürfen. Aber er wird stürzen, Jack, früher oder später. Sorg du dafür, dass er dich nicht mit in den Abgrund reißt. Landesverrat ist ein unverzeihliches Verbrechen.«
Doch er war in Gedanken längst anderswo. Am nächsten Tag sollte Herzog Alois in Dover eintreffen. Pitt wollte noch am selben Abend hinfahren, um ihn auf dem Weg nach London zu begleiten. Lord Tregarron hatte das Amt gegen Mittag mit der Erklärung verlassen, seiner Ansicht nach seien keine unmittelbar wichtigen Entscheidungen zu treffen. Er hatte selbstverständlich bestritten, dass dem Herzog ein Anschlag drohen könnte – und jetzt war er vermutlich derjenige, der ihn ins Werk setzen würde!
»Ich muss unbedingt Thomas von der geänderten Lage in Kenntnis setzen«, sagte Jack mit bebender Stimme, »und sofort aufbrechen. Noch heute Abend fahren wir nach Dover. Sag Emily bitte Bescheid.«
Er wandte sich um und eilte der Tür zu.
»Jack!«, rief ihm Vespasia nach.
»Ich kann nicht länger bleiben, Entschuldigung!«
»Das ist mir klar«, sagte sie. »Meine Kutsche steht vor der Tür, nimm sie.«
»Danke«, rief er über die Schulter. Er eilte hinaus und sah sich nach der Kutsche um. Sie stand nur wenige Schritte entfernt. Er rannte hin und gebot dem Kutscher, ihn in die Keppel Street zu fahren. Oder war es besser, Pitt in seiner Dienststelle in Lisson Grove aufzusuchen? Er blieb zögernd stehen.
»Sir?«
»Zur Keppel Street, so schnell es geht.«
Jack stieg ein, die Kutsche fuhr an und jagte durch die Straßen der Stadt dem Ziel entgegen. Obwohl es nicht weit war, kam es ihm vor, als durchquerten sie halb London. Seine
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