Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)
Fingerknöchel waren weiß vor Anspannung.
Er riss den Schlag auf, kaum, dass die Kutsche anhielt, und lief zur Haustür. Auf sein Klopfen öffnete das neue Mädchen, Minnie Maude.
»Ja, Sir?«
»Ist Commander Pitt zu Hause?«
»Nein, Sir. Se ham ’n verpasst.«
»Ist er in seiner Dienststelle, in Lisson Grove?«
»Nein, Sir, er wollte zum Bahnhof.«
»Wann? Schnell!«
»Vor ’ner Viertelstunde, Sir. Mrs. Pitt is’ aber da.«
»Nein … Danke.« Er eilte zur Kutsche zurück. Er war zu spät gekommen, hatte Thomas verpasst. Jetzt konnte er nichts weiter tun, als nach Hause zurückzukehren, um sich Geld zu holen. Vielleicht sollte er auch den Stockdegen aus der Bibliothek mitnehmen, bevor er sich auf den Weg nach Dover machte.
KAPITEL 13
Mit einem Ruck fuhr Pitt hoch. Es dauerte eine Weile, bis er nach einem Blick auf die unvertraute Umgebung begriffen hatte, wo er sich befand. Eigentlich hätte ihm das nicht schwerfallen dürfen, denn er hatte den größten Teil der Nacht wach gelegen und auf den Lichtschein der Straßenlaternen an der Decke seines Hotelzimmers in Dover gestarrt. In ein paar Stunden würde Herzog Alois mit der Fähre ankommen und mit dem Zug nach London weiterfahren. Von dem Augenblick an, da er seinen Fuß auf englischen Boden setzte, war Pitt für ihn verantwortlich.
In Gedanken war er immer wieder alles durchgegangen und hatte versucht, sich die Einzelheiten des geplanten Anschlags vorzustellen – wo er stattfinden sollte, auf welche Weise und ob es überhaupt dazu kommen würde. Hatte man sie womöglich alle miteinander zum Schutz des Herzogs nach Dover gelockt, weil an anderer Stelle ein gänzlich anderes Verbrechen geplant war? In den frühen Morgenstunden hatte er an die Bank von England gedacht, den Londoner Tower und die Kronjuwelen, sogar an das Parlamentsgebäude in Westminster.
Irgendwann war er eingeschlafen, ohne Antworten auf seine Fragen gefunden zu haben und in dem Bewusstsein, dass es sinnlos war, sich überhaupt Fragen zu stellen. Doch die Besorgnis war geblieben.
Jetzt stand er auf, wusch und rasierte sich und zog sich an. Er hatte noch genügend Zeit für ein ordentliches Frühstück. Es wäre töricht gewesen, nichts zu essen. Mit leerem Magen traf man nur selten kluge Entscheidungen.
Stoker befand sich bereits im Frühstückszimmer, doch Pitt nahm an einem anderen Tisch Platz – man konnte nie wissen. Sie verließen den Raum auch mit einigen Minuten Abstand. Wahrscheinlich war all das völlig unnötig, aber ein Übermaß an Vorsicht war besser als Nachlässigkeit.
Das Hotel stand unweit der Hafenanlagen, sodass sie schließlich beim Eintreffen der Fähre binnen Minuten am Anleger waren. Mit den Händen in den Taschen sah Pitt zu, wie das Schiff über das kabbelige Wasser des Kanals näher kam. Er zog den Kopf zwischen die Schultern und schlug den Mantelkragen hoch, um sich vor dem kalten Wind zu schützen. Er genoss den Geruch nach Salz wie auch den von Teer und Fisch, doch der vom Wasser herüberwehende Wind schien ihm kälter zu sein als der an Land. Er durchdrang alles, ganz gleich, wie dick man sich einpackte.
Er wusste, wo sich Stoker und die drei anderen Männer befanden, die er mitgebracht hatte, sah aber kein einziges Mal in ihre Richtung. Die Polizei von Dover hatte er nicht um Unterstützung gebeten. Da die österreichische Botschaft sie von der Ankunft des Herzogs in Kenntnis gesetzt hatte, waren einige Beamte gleichsam als Empfangskomitee da, doch hatte sich Pitt nach längerem Überlegen entschieden, sie in dem Glauben zu lassen, es bestehe keine besondere Gefahr.
Während er inmitten der Menge im Wind stand, stieß ihn jemand an. Er wandte sich um und sah seinen Schwager Jack Radley, der mit bleichem Gesicht neben ihn getreten war. Auch er hatte den Kragen hochgeschlagen und fror ganz offensichtlich.
»Du hattest recht«, sagte Jack, bevor Pitt den Mund auftun konnte. »Es ist Tregarron. Es tut mir leid. Serafina Montserrat hat seinen Vater verführt, woraufhin man ihn zum Landesverrat erpresst hat. Das liegt alles lange zurück, und der Mann ist längst tot, aber sein Sohn wollte um jeden Preis verhindern, dass etwas davon an die Öffentlichkeit gelangte, vermutlich, um sich selbst und seine Mutter zu schützen. Es … es erklärt auch ein paar andere Dinge, die er getan hat. Ich hätte das früher sehen müssen, wollte es aber wohl nicht wahrhaben.«
Pitt sah ihn überrascht und voll freundschaftlicher Zuneigung an. »Bist du eigens
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