Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)
müssen. Entweder würde er ihm nachschleichen oder an einen Ort gehen, wo er sicher war, ihn früher oder später zu finden, und wo er allein war.
Doch wo mochte das sein? Der kleinere Saal, in dem die Kapelle spielte? Eine weiter hinten liegende Empore? Ein Gang zwischen beiden? Ein Waschraum! Das war der einzige Ort, an dem man annehmen durfte, dass der Herzog dort einige Minuten allein verbringen würde. Da konnte sich Blantyre auch hinter einer Tür versteckt halten, sodass ihn niemand sah.
Pitt verließ den Raum und trat zu einem der Lakaien am Fuß der Treppe.
»Entschuldigung«, sagte er. »Können Sie mir bitte sagen, wo sich die Waschräume befinden? Falls es mehrere gibt, bitte den nächstgelegenen.«
»Für Gäste im Hause ist lediglich einer vorgesehen, Sir«, gab der Mann zurück. »Dort rechts.« Er machte eine unauffällige Handbewegung, damit niemand mitbekam, wohin er wies. »Die dritte Tür in dem Gang dort, Sir.«
»Vielen Dank«, sagte Pitt und ging rasch in die angegebene Richtung. Vor der Tür zögerte er einen Augenblick, drückte dann die Klinke herunter und ging hinein. Es war ein geradezu prunkvoll eingerichteter Raum – er hätte es sich denken müssen – mit einem halben Dutzend Kabinen. Nur eine von ihnen war besetzt. Befand sich Blantyre hinter jener Tür, entschlossen zu warten, bis Herzog Alois kam? Im Laufe des Abends würde er diesen Ort wohl oder übel irgendwann einmal aufsuchen müssen.
Pitt lehnte sich an die Wand und blieb dort stehen. Sein Herz klopfte. Die Sekunden verstrichen. Aus der besetzten Kabine kam kein Laut. Vielleicht befand sich Herzog Alois bereits darin, ermordet? Oder er war bewusstlos und lag im Sterben, während er, Pitt, dort wie ein Dummkopf herumstand? Natürlich war es auch möglich, dass seine Vermutung auf falschen Voraussetzungen fußte.
Von draußen hörte man Schritte und Männerstimmen.
Pitt drehte sich um, nahm ein Handtuch und tat so, als trocknete er sich die Hände.
Hinter ihm kamen zwei Männer herein. Er warf einen Blick über die Schulter. Keiner von ihnen war der Herzog. Er trat an eines der Waschbecken und ließ das Wasser laufen, wobei er so tat, als hätte er etwas unter dem Fingernagel. Nach einer Weile verließ erst der eine und dann der andere der beiden Männer den Raum wieder. Die letzte Tür war nach wie vor geschlossen. Von innen hörte man immer noch keinen Laut. Ob sich jemand darin befand, dem es nicht gut ging? Oder ein Toter? Falls es Blantyre war, der auf sein Opfer wartete, hätte man erwarten müssen, dass er zumindest einen flüchtigen Blick hinauswarf, um zu sehen, wer gekommen war. Das hatte er weder bei Pitts Eintreten getan noch bei dem der beiden anderen. Warum nicht?
Weitere Minuten verstrichen. Wieder kam ein Mann herein und ging nach einer Weile wieder.
Lauerte womöglich draußen Blantyre auf den Herzog, während Pitt dort stand und unaufhörlich so tat, als wüsche er sich die Hände? Bekam er ihn vielleicht sogar zu fassen? Lag der Herzog womöglich längst erstochen und verblutet hinter einem Vorhang?
Pitt ging zur Tür auf den Gang, öffnete sie geräuschvoll, glitt hinaus, schloss sie leise und wartete. Wie war der Herzog gegangen? Aufrecht, aber nicht wie ein Soldat. Anmutig, mit einer Art schlaksiger Eleganz, als bedrückte ihn nicht die geringste Sorge. Er versuchte es sich genau vorzustellen. Es war ein stolzierender Gang, den lediglich ein leichtes Hinken störte, als sei sein linkes Bein ein wenig steif.
Er entfernte sich einige Schritte, drehte sich dann um und ging zurück, wobei er den Gang des Herzogs nachzuahmen versuchte. Er legte die Hand auf die Türklinke, öffnete sie und ging betont lässig hinein, wobei er den linken Fuß ein wenig nachzog, so leicht, dass er nicht einmal sicher war, dass es genug war. Er schluckte.
Die hinterste Tür öffnete sich, und er sah sich Evan Blantyre gegenüber, der einen langen Krummdolch in der Hand hielt. Einen Augenblick lang starrten sie einander stumm an. Pitt hielt den Blick auf Blantyres Augen gerichtet, als gäbe es in dem Raum nichts anderes zu sehen. Langsam schlossen sich seine Finger um den Knauf der Pistole in seiner Jacketttasche, und er nahm sie heraus.
Blantyre lächelte. »Sie wagen es nicht«, sagte er gedehnt.
Pitt löste den Blick nicht von Blantyres Augen. »Sie haben Mrs. Montserrat und Ihre eigene Frau getötet …«
»Und Lazar Dragovic«, fügte Blantyre hinzu. »Er hat Österreich verraten. Aber beweisen können Sie
Weitere Kostenlose Bücher