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Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Titel: Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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»Darf ich Ihrer Äußerung entnehmen, dass jene Dame im Sterben liegt?«, fragte er.
    Narraway zuckte die Achseln. »Das war, nach dem, was man mir gesagt hat, mein Eindruck. Ich glaube, Mrs. Montserrat ist schon ziemlich alt.«
    Tregarron zwinkerte. »Ach ja? Man bedenkt immer gar nicht, wie schnell die Jahre vergehen.« Er nickte vor sich hin und seufzte.
    Narraway zögerte. Sollte er dem Mann zu verstehen geben, dass ihm dessen Schnitzer nicht entgangen war, oder würde er mehr erfahren, wenn er die Sache überging? Er entschied sich für Letzteres.
    »Ja, es ist wirklich lange her«, stimmte er ebenfalls seufzend zu. »Wir waren alle deutlich jünger und hatten nicht nur Träume, sondern auch eine Energie, die zumindest ich nicht mehr besitze.«
    Tregarron lehnte sich wieder entspannt in seinem Sessel zurück. »So ist es. Alles ist immer komplizierter, als die jungen Leute meinen. Vielleicht ist das auch ganz gut so. Wenn ihnen klar wäre, warum manches nicht geschieht oder unmöglich ist, würde niemand je etwas Neues ausprobieren. Auf jeden Fall ist alles jetzt ein ziemlicher Kladderadatsch. Wir brauchen keine Unruhestifter, aus welcher Ecke auch immer, schon gar nicht in Österreich. Den Bedauernswerten da unten entgleitet ihr zerfallendes Reich auch so schon, ohne dass irgendwelche verrückten Idealisten Amok laufen.«
    Er setzte sich ein wenig anders und schlug die Beine erneut übereinander, bevor er fortfuhr: »Der Thronfolger ist im Zusammenhang mit einem der übelsten Skandale des Jahrhunderts umgekommen, und Gott weiß, dass es noch eine ganze Reihe anderer schlimmer Skandale gegeben hat. Wir hatten selbst ein paar davon. Jetzt ist ein Neffe Franz Josephs, der einzige verbliebene Thronerbe, mit einer Frau verheiratet, die nach Ansicht des Kaisers der Position, die sie einmal einnehmen wird, nicht würdig ist. Als ob es in Ungarn nicht schon schlimm genug stünde, verschlechtert sich die Situation jetzt noch mehr. Mittlerweile ist man in nahezu ganz Europa überzeugt, dass die armen Teufel in ihrem eigenen Land Bürger zweiter Klasse sind. In Italien und auf dem Balkan rumort es immer mehr, und ich fürchte, all das ist noch gar nichts im Vergleich zu dem Chaos in Russland. Und als ob das nicht genügte, hat das inzwischen vereinte deutsche Reich beträchtlich an Macht gewonnen und lässt seine Muskeln spielen.«
    Er biss sich auf die Lippe und sah Narraway mit ernster Miene an. »Sie sehen, wir haben mehr als genug Sorgen. Da sollten wir die Vergangenheit in Frieden ruhen lassen, so weit das möglich ist.«
    »Es war nicht weiter wichtig«, log Narraway. »Ich hatte nur gehofft, jemandem einen kleinen Gefallen erweisen zu können. Es ist nicht übermäßig unterhaltsam, den Lordschaften im Oberhaus zuzuhören. Vielleicht sollte ich mich nach einem Landgut umsehen, um etwas zu tun zu haben. Es ist nur so, dass ich mich auf dem Lande nicht sonderlich wohlfühle, außer möglicherweise von Zeit zu Zeit für ein Wochenende.«
    Tregarron sah ihn missbilligend an. »Dann sollten Sie vielleicht besser doch in London bleiben und den hohen Herren genauer zuhören. Bestimmt ließe sich etwas finden, was der Mühe wert wäre, darüber zu diskutieren, und Sie könnten die Aufmerksamkeit der Herren ab und zu auf etwas Nützliches richten.« Er runzelte die Stirn ein wenig. »Ich … ich stelle Ihnen diese Frage nur ungern, aber sind Sie sicher, dass dieser Pitt, dem man im Staatsschutz Ihre Stelle anvertraut hat, der Sache gewachsen ist? Sicher, er war ein guter Polizist, aber das ist ja nun wirklich etwas völlig anderes! Ein Mann in dieser Position benötigt ein Ausmaß an Urteilskraft und eine Fähigkeit, die Dinge einzuschätzen, die man bei der Polizei wohl nicht lernt. Schon möglich, dass er bei der Aufklärung von Verbrechen hervorragende Arbeit geleistet hat und genau zu sagen vermag, wer daran beteiligt war – aber ist er auch imstande, größere Zusammenhänge zu sehen, erkennt er Verästelungen, die in die Politik hineinreichen? Besitzt er irgendeine andere Gabe außer der, Kriminalfälle zu lösen? Reicht sein Verständnis tiefer?«
    Narraway wusste genau, worauf Tregarron hinauswollte, tat aber so, als sei er ein wenig verwirrt, um seinerseits Zeit zum Nachdenken zu gewinnen.
    Tregarron beugte sich vor und sagte in das Schweigen hinein, wohl für den Fall, dass er Narraway gekränkt hatte: »Ich weiß, dass er hochanständig und ehrlich bis auf die Knochen ist, und ich muss gestehen, dass wir ohne

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