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Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Titel: Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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bald wie möglich anzurufen. Sie brauche in einer dringenden Angelegenheit seinen Rat und möglicherweise auch seine Unterstützung.
    Am Spätnachmittag kehrte Narraway aus dem Oberhaus zurück. Er war ermattet – nicht von einer körperlichen oder geistigen Anstrengung, sondern einfach davon, dass er sich die immer gleichen endlosen Diskussionsbeiträge hatte anhören müssen. Vespasias Mitteilung erfüllte ihn mit einer gewissen Erregung, und er hoffte, dass endlich etwas Interessantes geschehen würde. Vespasia hatte ihn noch nie enttäuscht. Er rief sie gleich an, noch bevor er den Mantel ausgezogen hatte.
    Sie bat ihn zu sich, und er erklärte, er werde sogleich kommen. Immerhin bestand die Möglichkeit, dass er etwas Sinnvolles zu tun bekam.
    Leicht vorgebeugt in der Droschke sitzend, ließ er den Blick durch die vertrauten Straßen schweifen. Seine Gedanken überschlugen sich, während er überlegte, was Vespasia so sehr beschäftigen mochte, dass sie seinen Rat mit solchem Nachdruck suchte. Ihre in seinem Hause hinterlassene Mitteilung war so flüchtig aufs Papier geworfen, als sei Vespasia von einer tiefen Sorge angetrieben, und ihre Stimme am Telefon hatte geklungen, als drohe Gefahr. Dabei wusste er genau, dass sie weder zu Übertreibungen neigte noch sich leicht ins Bockshorn jagen ließ. Er versuchte sich an gemeinsam durchlebte gefährliche und mitunter tragische Situationen zu erinnern, an denen fast immer auch Thomas Pitt beteiligt gewesen war. Dabei war es immer um Verbrechen und mögliche Katastrophen gegangen, und das eine oder andere Mal waren sie nur mit knapper Not mit dem Leben davongekommen.
    Vor Lady Vespasias Haus stieg er aus, entlohnte den Kutscher und ging die Stufen zur Haustür empor. Sie öffnete sich, bevor er hatte läuten können. Das Mädchen begrüßte ihn, nahm seinen Mantel und führte ihn in den ruhigen Salon, dessen Fenster und Fenstertüren auf den Garten gingen.
    »Danke, dass du gleich gekommen bist«, sagte Vespasia und erhob sich. Das war er von ihr nicht gewohnt. Auch fiel ihm auf, dass sie ihn nicht mit der üblichen Gelassenheit begrüßte. Etwas war anders als sonst, auch wenn er nicht zu sagen vermocht hätte, was. Wie stets war sie von erlesener Eleganz. Zu einem taubengrauen Kleid trug sie Perlenohrringe und eine Perlenkette. Das Haar lag ihr in einem silbrig glänzenden Zopf um den Kopf.
    »Vermutlich hast du noch nicht zu Abend gegessen. Darf ich dir etwas anbieten?«, fragte sie.
    »Erst, wenn du mir gesagt hast, was dich bedrückt. Es ist ganz unübersehbar dringend«, gab er zurück.
    Sie bedeutete ihm, Platz zu nehmen, und setzte sich wieder an den Kamin.
    »Ich war heute noch einmal bei Serafina Montserrat«, begann sie. »Es geht ihr deutlich schlechter, nicht, was ihre Gesundheit betrifft, wohl aber scheint mir ihr geistiger Zustand bedenklich zu sein.« Sie zögerte. »Als ich kam, wirkte sie völlig klar, aber in ihren Augen lag unverhüllte Angst. Bevor ich länger als einige Augenblicke mit ihr reden konnte, kam Adriana Blantyre hinzu.«
    »Evan Blantyres Frau?«, entfuhr es ihm verblüfft. Er kannte Blantyre als einen hoch angesehenen Mann von nicht zu unterschätzendem Einfluss. »Ein Höflichkeitsbesuch?«, fragte er ruhig.
    »Nein. Die beiden sind wohl miteinander befreundet«, gab sie, ohne zu zögern, zurück.
    Er sah, wie die Besorgnis in Vespasias Augen zunahm, und erkannte eine weitere Empfindung, die er nicht einordnen konnte. »Vielleicht solltest du mir besser sagen, worum es geht«, erwiderte er. »Was befürchtest du?«
    Bedächtig ihre Worte wählend, sagte sie: »Serafina hat angefangen, wirr zu reden, kaum dass Mrs. Blantyre hereingekommen war, und zwar so, dass man glauben konnte, sie wisse nicht mehr, in welchem Jahr wir leben. Mrs. Blantyre war überaus geduldig und äußerst freundlich, aber die Situation war beunruhigend. Serafina sprach, als seien die beiden Verbündete im Kampf gegen die österreichische Herrschaft in Norditalien gewesen. Was sie sagte, klang so, als wisse sie nichts über die jüngere Geschichte Italiens. Du weißt schon – die Einheit, Garibaldi, Cavour und so weiter.«
    »Und in welchem Jahr glaubt sie zu leben?« Narraway begann das gleiche tiefe Mitleid zu empfinden, das er in Vespasias Äußerungen erkannt hatte, obwohl er, soweit er wusste, Serafina Montserrat nie im Leben begegnet war.
    »Ich weiß nicht. Möglicherweise in den fünfziger oder frühen sechziger Jahren.«
    »Und für wen hält sie in

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