Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)
aufzustehen und davonzugehen wäre ein zu grober Akt der Unhöflichkeit gewesen.
Sie saßen einander in Lehnsesseln an einem der riesigen Kamine gegenüber. Narraway bestellte für beide Cognac. Als der Bediente die Gläser brachte, entschuldigte er sich leise, obwohl die beiden Männer noch gar nicht miteinander sprachen.
»Sorgen Sie bitte dafür, dass uns niemand stört, Withers«, bat ihn Narraway.
»Sehr wohl, Euer Lordschaft«, erwiderte der Mann und zog sich mit einer Verbeugung zurück.
Tregarron sah finster zu Narraway hin und wartete auf dessen Erklärung. »War ein verdammt langer Tag, Narraway«, sagte er. »Ist das wirklich nötig? Schließlich sind Sie nicht mehr beim Staatsschutz.«
Überrascht merkte Narraway, wie tief ihn dieser Hinweis traf, als sei seine Identität von der dienstlichen Stellung abhängig gewesen, sodass er ohne sie denen, die ihn zuvor mit einer gewissen Ehrfurcht behandelt hatten, geradezu bedeutungslos gegenüberstand. Mit Mühe verbarg er, dass er sich gekränkt fühlte. Wäre er nicht auf Tregarron angewiesen gewesen, hätte er ihm diese Spitze nicht durchgehen lassen, auch wenn er damit, wie ihm sogleich klar wurde, seine Verletzlichkeit bewiesen hätte.
Er zwang sich zu einem angedeuteten Lächeln. »Das bedeutet lediglich, dass ich nicht mehr verpflichtet bin, mich in bestimmte Dinge einzumischen, nimmt mir aber nicht die Freiheit, genau das zu tun, wenn ich damit Gutes bewirken kann«, gab er zurück.
Tregarrons finstere Züge wirkten jetzt angespannt. »Soll das ein Versuch sein, eine Einmischung in Angelegenheiten des Außenministeriums zu rechtfertigen, gegen den ich Einspruch erheben müsste?«
Narraways Lächeln wurde schwächer. »Ich würde nicht im Traum daran denken, dergleichen zu tun, selbst wenn es gerechtfertigt wäre. Nein, mir geht es um Informationen über die Vergangenheit, mit deren Hilfe sich möglicherweise etwas verhindern lässt, wovon ich noch nicht genau weiß, was es ist, und worüber ich mehr in Erfahrung bringen muss.«
Tregarron hob die dichten Brauen. »Von mir? Sie sollten doch wissen, dass ich Ihnen nichts sagen darf.«
Es kostete Narraway Mühe, seinen aufsteigenden Zorn zu beherrschen. Er brauchte Tregarrons Angaben, hatte aber, wie dieser sehr wohl wusste, keine Möglichkeit mehr, sie von ihm zu fordern. Es fiel ihm schwer, sich an diesen Aspekt des Machtverlusts zu gewöhnen.
»Ich will keine Angaben über die Gegenwart«, wiederholte er ruhig. Mit einem Mal zögerte er, Tregarron seine Gründe darzulegen. »Es geht ganz allgemein um Dinge, die dreißig oder vierzig Jahre zurückliegen.«
»So lange? Was für ein Spiel treiben Sie da, zum Teufel? Und wo soll das damals gewesen sein?« Tregarron beugte sich ein wenig vor. »Geht es um etwas, was ich wissen sollte?«
»Sofern ich zu der Überzeugung gelange, dass es sich so verhält, werde ich es Ihnen mit Sicherheit sagen«, gab Narraway zurück. »Bisher habe ich es ausschließlich mit Gerüchten zu tun, die mir überwiegend auf eine überhitzte Einbildungskraft zurückzugehen scheinen. Ich würde gern feststellen, ob etwas daran ist, bevor ich jemanden behellige.«
Damit hatte er Tregarrons Aufmerksamkeit geweckt. »Und worum geht es da genau?«
Jetzt blieb Narraway nichts anderes übrig, als mit der Wahrheit herauszurücken, wenn er dem Mann nicht eine dreiste Lüge auftischen wollte. »Um Gerüchte in Bezug auf eine Frau namens Serafina Montserrat«, sagte er.
Ein Schatten legte sich auf Tregarrons Züge. »Sie war damals nicht besonders jung, ich meine, auf keinen Fall zwischen zwanzig und dreißig. Was für eine Rolle könnte sie jetzt noch spielen?«
Narraway entschied sich, seine Taktik zu ändern.
»Erinnerungen, Geschichten«, sagte er, so beiläufig er konnte. »Ich könnte denen, die sie verbreiten, das Maul stopfen, wenn ich die Wahrheit auch nur annähernd wüsste.«
Angespannt fragte Tregarron: »Wer redet denn über die Frau? Alle Ziele, für die sie sich damals eingesetzt hat, sind seit Jahren, ach, was sage ich, seit Jahrzehnten, erreicht oder gegenstandslos geworden. Also dürfte es sich dabei um leeres Gerede handeln, wobei ich nicht ausschließen möchte, dass es trotzdem gefährlich sein könnte. Man darf den Namen eines Menschen nie leichtfertig im Munde führen, denn der Schaden, der damit angerichtet werden kann, lässt sich nur schwer ungeschehen machen. Es war richtig, dass Sie zu mir gekommen sind. Mrs. Montserrat war in erster Linie auf dem
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