Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)
zurückverfolgen kann. Wenn das so wäre, würden wir keine Polizei brauchen, vom Staatsschutz ganz zu schweigen.« Er schritt weiter rasch aus, sodass sich Jack genötigt sah, größere Schritte zu machen, um mit ihm auf gleicher Höhe zu bleiben.
»Na hör mal, Thomas«, sagte er. »Du kannst nicht erwarten, dass ein Mann in Tregarrons Position eine so abenteuerlich klingende Geschichte ernst nimmt, solange dafür keine Beweise vorliegen. Er kennt sich in den Angelegenheiten Österreichs bestens aus, bekommt regelmäßig Berichte von all unseren Leuten dort und auch noch von einigen anderen. Er versteht sein Geschäft aus dem Effeff.«
Pitt blieb schlagartig stehen und drehte sich zu Jack um. »Hättest du das auch so gesagt, wenn Narraway mit Verdachtsgründen zu euch gekommen wäre? Oder hättest du den Anstand gehabt anzunehmen, dass auch er sein Geschäft aus dem Effeff versteht?«
Röte stieg in Jacks Gesicht. »Entschuldige. Das war ausgesprochen taktlos von mir. Ich …«
Pitt lächelte trübselig. »Nein, leider entspricht es deiner ehrlichen Überzeugung. Allerdings kann sich jemand, der im diplomatischen Korps vorankommen will, diese Art Ehrlichkeit auf die Dauer nicht leisten. Eines Tages wirst vielleicht auch du dein Geschäft aus dem Effeff verstehen, aber jetzt noch nicht.« Er wandte sich zum Gehen.
»Thomas!« Jack ergriff Pitts Arm so fest, dass er stehen bleiben musste. »Hör zu. Ich bin überzeugt, dass du gegen Phantome kämpfst, was ich dir nach der Geschichte mit Gower in Saint Malo und dem, was anschließend in Irland und mit Narraway war, nicht verdenken kann. Aber du hast keine Möglichkeit, Tregarron zu zwingen, dass er dem zuwiderhandelt, was er denkt. Wenn du ernsthaft annimmst, dass es eine Bedrohung gibt, dann wende dich doch noch einmal an Evan Blantyre, und trage ihm die Sache vor. Wenn es hier im Lande überhaupt jemanden gibt, der über Österreich mehr weiß als Tregarron, dann er. Er hat viele Jahre dort gelebt, aber auch in Norditalien, Ungarn und Kroatien, und auch seine Frau ist Kroatin.« Er richtete den Blick erwartungsvoll auf Pitt und sah ihn offen an.
Pitt kam sich ungehobelt vor und spürte, wie tief es ihn schmerzte, dass er um etwas hatte kämpfen müssen, was man einem Narraway anstandslos und sofort gewährt hätte. Hing das mit seiner mangelnden Erfahrung in diesem Amt und damit zusammen, dass Narraway, anders als er, zweifellos ein Herr war? Oder hatte deshalb niemand jenem in den Weg zu treten gewagt, weil er im Laufe der Jahre so viel Wissen über diese Menschen zusammengetragen hatte?
Doch für nichts von all dem war Jack verantwortlich. Pitt zwang sich, seinen Grimm zu vergessen.
»Guter Gedanke«, sagte er, »ich werde noch einmal mit ihm reden.«
Lächelnd entspannte sich Jack. Pitt sah, wie sich der Stoff seines erstklassig geschnittenen Sakkos glättete, als sich seine Schultern senkten.
Wenigstens halbwegs versöhnt verabschiedeten sie sich voneinander.
Mit widerstreitenden Empfindungen kehrte Jack in Tregarrons Amtsräume zurück. Seiner festen Überzeugung nach war es richtig gewesen, dem Schwager ein neuerliches Gespräch mit Blantyre zu empfehlen, doch war er zugleich, ohne den Grund dafür zu kennen, sicher, dass sein Vorgesetzter das nicht gutheißen würde. Auch wenn Pitt zu impulsiv auf die Situation zu reagieren schien, war das auf jeden Fall besser als eine zu geringe oder zu späte Reaktion. Niemandem war damit gedient, dass man Pitt herabsetzte und dazu brachte, seine eigene Urteilsfähigkeit anzuzweifeln.
Wieder klopfte er leicht an die Tür von Tregarrons Büro und trat erneut ein, als er dazu aufgefordert wurde.
Sein Vorgesetzter beschäftigte sich inzwischen mit Papieren zu einem anderen Thema. Er hob den Blick vom Schreibtisch, und Jack erkannte auf seinem Gesicht nach wie vor Spuren seines Wutausbruchs.
Mit den Worten »Gehen Sie das doch mal durch, Radley, und sagen Sie mir, was Sie davon halten«, schob er die Papiere zu einem Stapel zusammen. »Ich denke, Lord Wishart hat recht, aber da ich seiner Ansicht ohnehin zuneige, würde ich mir gern auch Ihre Meinung dazu anhören. Kennen Sie ihn? Guter Mann, tadelloses Urteilsvermögen.«
»Nein, Sir«, gab Jack zurück, während er die Hand ausstreckte, um die Papiere entgegenzunehmen.
»Dann muss ich Sie einander bei passender Gelegenheit einmal miteinander bekannt machen.« Bei diesen Worten lächelte Tregarron, sodass sein Gesicht mit einem Mal charmant wirkte. »Der Mann
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