Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mord in Londinium

Titel: Mord in Londinium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
Vom Netzwerk:
verabscheute diese Heuchelei. Helena sagte, das sei in einer Provinz, in der die gesellschaftlichen Kreise so klein waren, unvermeidlich. Sie verteidigte das System, aber ich merkte, dass sie eigentlich meiner Meinung war. Sie war in einem senatorischen Haushalt aufgewachsen, doch da ihr Vater Camillus Verus nie ein öffentliches Amt angestrebt hatte, war es ihm gelungen, kein offenes Haus führen zu müssen. Da sie unter Geldmangel litten und zurückgezogen lebten, hoben sich die Camilli ihre Gastfreundschaft für Familie und Freunde auf.
    »Das Leben mit deinem Onkel und deiner Tante mag zwar angenehm sein«, sagte ich, »aber dieses ständige Diplomatengewäsch geht mir auf den Senkel.«
    Helena lächelte – und schaute dann plötzlich alarmiert, als wir durch einen fernen Kinderruf unterbrochen wurden. »Julia hat eine Biene!« Wir hatten andere Kinder herumhuschen hören. Alle bis auf die Älteren sollten im Bett sein. Ich erhob mich ruhig und entschuldigte mich, um nachzuschauen.
    Meine ältere Tochter Julia, allein gelassen, als die anderen wegrannten, war splitterfasernackt bis auf ihre kleinen Sandalen und hockte auf den Fersen neben einem Teich. Irgendwann war sie in dem Teich gewesen. Ihre Haut war kalt, und ihre dunklen Locken klebten in feuchten Strähnen zusammen. Ich schluckte, stellte mir die Gefahren für ein Kleinkind vor, das liebend gern im Wasser herumplantschte, aber nicht schwimmen konnte.
    Die Biene, ein dickes Exemplar, sah aus wie tot. Bewegungslos stand sie auf dem Pfad und wurde von meiner Zweijährigen aus wenigen Zoll Entfernung angestarrt. Es war ein schöner, klarer Abend, noch zu früh, um die Lampen anzuzünden; mir war klar, warum die Kinder ihren Kindermädchen ausgebüxt waren. Ich versuchte einen schwachen Tadel anzubringen, dass Wasser verboten sei. Julia deutete mit ihrem kleinen Finger und sagte fest: »Biene!«
    »Ja, mein Schatz. Ihr geht es nicht sehr gut.« Gehorsam hockte ich mich hin und betrachtete die Biene genauer. Ihre Pollensäcke waren übervoll, und sie war erschöpft von der Hitze.
    Julia fuchtelte mit der Faust in Richtung des Insekts, als ich sie sanft außer Reichweite des Stachels zu bringen versuchte. »Arme Biene!«, kreischte sie.
    Wurde Zeit, dass ich meinem Kind, das recht jähzornig sein konnte, ein Gefühl für Freundlichkeit einimpfte. Ich schöpfte etwas Wasser auf ein gefaltetes Blatt. Die Biene zeigte Interesse, war aber zu schwach, um zu trinken. Ich hätte sie hier lassen können, damit die Gärtner sie morgen auffegten; bis dahin war sie mit Sicherheit tot. Julia lehnte sich glücklich an mich, vertraute darauf, dass ich das Tier aus seiner misslichen Lage errettete. Ich ließ sie das Blatt sanft in die Nähe des Bienenkopfes halten, während ich zu den Büfett-Tischen zurückging. Dabei schaute ich mich nach Helena um, aber sie war verschwunden. Ich tauchte einen Olivenlöffel in den Honig auf der Bank der Weinkellner und kehrte zu Julia zurück.
    Sobald ich der Biene den Löffel hinhielt, reagierte sie. Julia und ich sahen verzaubert zu, wie die Biene ihren langen schwarzen Rüssel ausfuhr und in den Honig tauchte. Mit der einen Hand hielt ich den Löffel ruhig, den anderen Arm hatte ich vorsorglich um Julia gelegt. Eine Biene zu füttern war ein wunderbares Gefühl. Sie erholte sich direkt vor unseren Augen und begann, ihre schweren Flügel zu schütteln. Wir entfernten uns etwas, hockten uns hin. Die Biene krabbelte langsam, probierte ihre Beine aus, flatterte ein oder zwei Mal. Dann hob sie plötzlich ab und schwirrte in kräftigem Flug hoch über den Garten.
    »Sie fliegt jetzt nach Hause in ihr Bettchen. Und du gehst auch in deins!«
    Ich hob Julia hoch und richtete mich auf. Als ich mich zum Haus umdrehte, bemerkte ich, dass Helena inzwischen oben auf dem Balkon stand. Jemand stand im Schatten bei ihr, verschleiert und diskret: eine Frau. Julia und ich winkten ihnen zu.
    Meine Tochter bestand darauf, dass ich sie ins Bett brachte. Eine Geschichte brauchte ich nicht zu erzählen; die Bienenrettung reichte heute Abend anscheinend aus. Ich warf noch einen raschen Blick auf Favonia, die fest schlief. Dann eilte ich hinaus, um Helena zu finden. Sie war wieder bei den Gästen, allein.
    Wir sprachen leise miteinander. »Warst du da oben mit …«
    »Amazonia.«
    Der blinde Harfenist war uns zu nahe gekommen, klimperte uns beharrlich etwas vor. Ich bedeutete dem Jungen, der den Mann herumführte, ihn woanders hinzubringen. Musiker haben mich

Weitere Kostenlose Bücher