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Mord in Mesopotamien

Mord in Mesopotamien

Titel: Mord in Mesopotamien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Mensch, Mr Coleman hingegen war ein alberner Jüngling.
    An diesem Punkt war ich mit meinen Überlegungen angelangt, als wir in Tell Yarimjah ankamen. Es war neun Uhr, das große Tor war bereits verschlossen.
    Ibrahim öffnete es mit seinem großen Schlüssel.
    Im Wohnzimmer sowie in den meisten Schlafzimmern war es schon dunkel, nur im Zeichensaal und in Dr. Leidners Büro brannte noch Licht. Alle waren anscheinend noch früher als üblich schlafen gegangen.
    Bevor ich in mein Schlafzimmer ging, blickte ich in den Zeichensaal, wo Mr Carey hemdsärmlig über einen großen Plan gebeugt arbeitete.
    Es versetzte mir einen Schlag, wie elend er aussah. Ich weiß nicht, was es mit Mr Carey auf sich hatte – es lag nicht an dem, was er sagte, denn er sagte so gut wie gar nichts, und es war auch nicht das, was er tat, denn das war das übliche, und dennoch fiel es einem auf, und alles, was mit ihm zusammenhing, schien mehr zu bedeuten, als es bei anderen bedeutet hätte. Er war einfach eine Persönlichkeit.
    Er wandte den Kopf und nahm, als er mich sah, die Pfeife aus dem Mund. «Ah, Schwester, zurück aus Hassanieh?» fragte er.
    «Ja, Mr Carey. Sie arbeiten noch so spät? Alle andern sind anscheinend schon zu Bett gegangen.»
    «Ich muss noch einiges tun. Es ist so viel liegen geblieben, und morgen muss ich wieder zur Ausgrabungsstätte, wir machen dort wieder weiter.»
    «Schon?» fragte ich, peinlich berührt.
    Er blickte mich merkwürdig an. «Es ist das Beste. Leidner wird morgen noch den ganzen Tag in Hassanieh zu tun haben, aber wir andern arbeiten wieder. Herumsitzen und einander anstarren hat keinen Sinn.»
    Das stimmte, denn alle waren nervös und gereizt. «Sie haben recht», entgegnete ich, «man kommt auf andere Gedanken, wenn man arbeitet.»
    Das Begräbnis sollte übermorgen stattfinden.
    Carey hatte sich wieder über seine Arbeit gebeugt. Er tat mir Leid, und ich war überzeugt dass er keinen Schlaf finden würde. «Möchten Sie vielleicht ein Schlafmittel, Mr Carey?» fragte ich ihn.
    Traurig lächelnd schüttelte er den Kopf. «Es wird auch so gehen, Schwester. Schlafmittel sind eine schlechte Angewohnheit.»
    «Dann gute Nacht, Mr Carey», sagte ich. «Wenn ich irgend etwas für Sie tun kann…»
    «Vielen Dank, Schwester. Gute Nacht.»
    «Es tut mir so entsetzlich Leid», sagte ich, vermutlich zu impulsiv.
    «Was tut Ihnen Leid?» Er blickte überrascht auf.
    «Alles. Alles ist so furchtbar, aber vor allem für Sie.»
    «Für mich? Wieso gerade für mich?»
    «Weil Sie mit beiden befreundet waren.»
    «Ich bin ein alter Freund von Leidner, war aber nicht besonders befreundet mit ihr.» Er sprach, als hätte er sie wirklich nicht gemocht, und ich wünschte, Miss Reilly hätte das gehört.
    «Dann gute Nacht», sagte ich und eilte in mein Zimmer.
    Dort kramte ich ein bisschen herum, wusch einige Taschentücher aus und schrieb mein Tagebuch. Dann sah ich noch einmal in den Hof hinaus. Im Zeichensaal und im Büro brannte Licht; Leidner arbeitete also noch, und ich überlegte, ob ich ihm nicht gute Nacht sagen sollte. Ich wollte nicht aufdringlich erscheinen; schließlich aber trieb mich ein unbehagliches Gefühl, zu ihm zu gehen. Schaden konnte es ja nichts, ich würde ihm nur gute Nacht sagen und fragen, ob ich etwas für ihn tun könnte.
    Doch nicht Dr. Leidner, sondern Miss Johnson saß im Büro. Den Kopf in den Händen vergraben, weinte sie herzzerbrechend. Ich war bestürzt. Sie war eine so ruhige, beherrschte Frau, es tat mir Leid, sie in diesem Zustand zu sehen.
    «Was haben Sie denn, meine Liebe?», rief ich, legte meinen Arm um sie und streichelte sie. «Aber beruhigen Sie sich… warum weinen Sie denn?»
    Sie antwortete nicht und schluchzte weiter, dass ihr ganzer Körper zitterte. «Nicht doch, nicht doch», redete ich ihr zu. «Ich werde Ihnen jetzt eine Tasse Tee machen.»
    Sie hob den Kopf und entgegnete: «Nein, danke, Schwester. Es ist schon alles gut. Ich bin eine alberne Person.»
    «Was haben Sie denn, meine Liebe?», fragte ich.
    Erst nach einer kleinen Weile antwortete sie: «Alles ist so entsetzlich…»
    «Versuchen Sie, nicht mehr daran zu denken», tröstete ich sie. «Was geschehen ist, ist nicht mehr zu ändern.»
    Sie richtete sich auf und strich ihr Haar glatt. «Ich bin eine alberne Person», wiederholte sie in ihrer schroffen Art. «Ich wollte hier etwas Ordnung schaffen, weil ich dachte, Arbeit sei in diesem Fall das Beste. Und dann… dann überkam es mich

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