Mord in Oxford
haben, ehe die Polizei die Darsteller von Yvonnes privater Pornosammlung zu finden versucht und den Boulevardblättern die Fotos überlässt.« Ihr fiel auf, dass sie in den letzten Minuten mit dem Nippes auf ihrem Kaminsims gespielt hatte, fast wie der junge Kriminalbeamte. Nur hatte sie die Figürchen aus der ordentlichen Reihe herausgeschoben. Sie sah sich zu Camilla um. »Ich war auf keinem dieser Fotos. Carey ist wirklich ein attraktiver junger Mann, aber ich habe ihn dieser Tage bei dir zu Hause zum ersten Mal gesehen. Yvonne hat mich nicht erpresst. Ich bin an dem Abend weder bei ihr zu Hause gewesen, noch habe ich sie umgebracht.« Sie legte eine winzige Porzellandose mit offenem Deckel auf die Seite und schob einen silbernen Fingerhut ein Stück nach vorn. Schon besser.
»Weißt du, das mit Carey und mir …«, begann Camilla zögernd. »Erinnerst du dich an mein Zuhause und meine Eltern? Sie sind schon lange tot, aber ich schrecke heute noch manchmal aus dem Schlaf auf und denke, jetzt muss ich meine Füße auf nacktes, kaltes Linoleum stellen, und an der Wand steht Gott sieht dich . Nachdem meine Eltern tot waren, ging ich als Erstes los und kaufte mir ein Kleid. Die Frau in der Boutique dachte bestimmt, ich spinne. Ich kam in einem grauen Flanellkostüm mit dunkelblauem Umschlagtuch und verließ den Laden mit einer Tüte voller rosa Chiffon und Pailletten. Natürlich habe ich nie gewagt, das Kleid in der Öffentlichkeit zu tragen. Nie schaffte ich es, dem grauen Einerlei zu entrinnen, das meine Eltern aus meinem Leben gemacht hatten, bis ich Carey traf. Es war beim Schulfest. Er stand in der prallen Sonne und löffelte Erdbeereis in seinen Mund. Er hat eine ziemlich dunkle, spitze Zunge; er hob jeden Löffel mit einem kleinen Berg Eiscreme hoch und betrachtete ihn, als stehe ihm eine besonders schöne, erotische Erfahrung bevor. Er genoss die Vorfreude auf den Geschmack, ehe er sich die Realität auf der Zunge zergehen ließ. In diesem Augenblick wusste ich, dass dieser Mann alle die freudvollen Dinge des Lebens kannte, die ich immer vermisst hatte. Wir sahen uns an. Er registrierte mich, und ich registrierte ihn. Er war einundzwanzig, ich zweiunddreißig und fühlte mich wie fünfundfünfzig. Nichts geschah.
Ein paar Tage später gab es diesen Ärger mit Helena, und er kam zu mir. Vielleicht kommt es dir jetzt so vor, als ob er mich ausgenutzt hat, aber dahinter steckte viel mehr. Natürlich spielte er nur, das weiß ich auch, aber da war auch eine gewisse Anziehungskraft auf beiden Seiten, egal, was du jetzt denkst, Kate. Ich glaube, er freute sich, als ich mich von einer spießigen alten Jungfer in jemanden verwandelte, der jung und hübsch war und Spaß an … na ja, an Dingen hatte. Siehst du, ich bin noch immer nicht in der Lage, bestimmte Worte laut auszusprechen. Wir hatten viel Spaß miteinander. Er brachte mich zum Lachen, und ich schaffte es auch immer wieder, ihn zu amüsieren.
Er wirkte wie Dope. Wie Ecstasy.
Eines Tages kam der erste Anruf von Yvonne, ich solle einmal zu ihr herüberkommen.
Als ich vor ihrer Tür stand, fühlte ich mich nicht besonders wohl. Ich schob es auf die Tatsache, dass ich schon immer Angst vor dem Zahnarzt gehabt hatte. Und so war es eigentlich auch. Zwar bot sie mir einen Sherry an und machte Smalltalk, aber im Grunde bohrte sie meine Nerven an. Sie hielt mich zwanzig Minuten im Ungewissen, ehe sie mir die Fotos zeigte.
Zu Beginn forderte sie nichts anderes als meine aktive Mithilfe bei der Opposition gegen Grants Plan. Das ging mir eigentlich nicht einmal gegen den Strich, obwohl ich mich in dieser Angelegenheit lieber bedeckt gehalten hätte. Nicht alle Schüler-Eltern sind unserer Ansicht. Von da an lud sie mich ab und zu auf einen Drink ein – ich nehme an, um mich nervös zu machen. Manchmal saß ich eine halbe Stunde oder noch länger bei ihr im Wohnzimmer und fragte mich, was sie jetzt nun wieder verlangen würde, aber dann kam nichts. Manchmal bildete ich mir ein, dass ihr Lachen mich bis auf die andere Seite der Waverley Lane verfolgte. Und genau in dem Moment, als ich hoffte, alles wäre vorüber, kam der Plan, Roses Dosen zu stehlen. Natürlich verstehe ich, dass sie für Rose immens wichtig sind, aber ich sehe immer noch nicht ein, warum eine Gruppe respektabler, berufstätiger Leute einen Diebstahl begehen muss, um an die Dosen zu kommen. Ich halte wirklich große Stücke auf Kameradschaft und Gruppenloyalität, aber das ging mir nun doch einen
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