Mord in Thingvellir
das Naherholungsgebiet der Hauptstadt, das auf der steinigen Hochebene über der dicht besiedelten Gegend am Faxaflói liegt. Wo es niemandem außer Joggern und Reitern einfällt, sich blicken zu lassen.
Sie nehmen mich in die Mitte und tragen mich etwa fünfzig Meter vom Schotterweg weg. Lassen mich in eine enge Felsspalte hinab, die sich vor vielen Jahrhunderten in der rauen Lava gebildet hat.
Ich liege bäuchlings auf unebenen Steinplatten, an Händen und Füßen sorgfältig gefesselt. Als ob meine Extremitäten in Daumenschrauben stecken würden.
Das Motorbrummen des Transporters verebbt langsam.
Sie haben mich in der unbewohnten Hochebene allein zurückgelassen. Vor mir sehe ich nur feuchte Felsen. Und neben mir ebenfalls.
Auf manchen Steinen befinden sich spärliche Hinweise, dass sich dort irgendeine Lebensform gebildet hat. Braune Flechten. Grünlich zerzauste Moospölsterchen.
Eine große Spinne krabbelt zwischen den Felsen herum.
Ich beneide sie wegen ihrer Freiheit. Rolle mich vorsichtig auf die Seite und auf den Rücken, zwinkere in den bewölkten Himmel.
Der leichte Nieselregen benetzt mein Gesicht. Eine Dusche der Natur.
Es ist an der Zeit, meine Fähigkeiten der Körperertüchtigung unter Beweis zu stellen.
Ich atme ein paar Mal die frische Luft tief durch die Nase ein. Dann halte ich den Atem an und versuche, mich allein durch die Anspannung meiner Bauchmuskeln aufzusetzen.
Es gelingt mir beim zweiten Versuch.
In Ordnung. Entspannen. Kräfte sammeln für die nächste Etappe. Für den langen Weg aus diesem unbequemen Gefängnis.
Ich verstehe immer noch nicht, warum diese Bande auf mich losgegangen ist. Sie haben mich nichts gefragt, um nichts gebeten. Haben mir auch keine Botschaft mitgeteilt.
Ich hatte den Eindruck, dass sie mich so schnell wie möglich loswerden wollten. Nachdem sie mich überwältigt und gefesselt hatten.
Was hat das für einen Sinn?
Die Fragen wirbeln in meinem Kopf herum, aber ich bekomme keine Antworten.
Gunnhildurs Verrat trifft mich am schwersten.
Sie hat vorgegeben, meine Hilfe zu brauchen, hat mich hinterhältig in eine Falle gelockt. Absichtlich. Wie ein Lockvogel.
Warum?
Die Kerle sahen wie bullige Geldeintreiber aus. Motorradfreaks von der Sorte, die Eddi Event-Ratte zu Diensten stehen.
War er es, der ihnen befohlen hat, mich zu überwältigen?
Warum sollte er das tun?
Besteht möglicherweise eine Verbindung zwischen Gunnhildur und Eddi?
Sie könnte als Dealer arbeiten und Eddi Koks und Ecstasy abkaufen. Und den Stoff an ihre reichen Freunde weiterverkaufen. An die Glimmermannschaft, mit der sie laut Máki so gern abhängt.
Keine abwegige Vermutung.
Aber nur eine Vermutung. In Wirklichkeit habe ich nicht den geringsten Hinweis darauf, wer diesen hinterhältigen Angriff auf mich angeordnet hat.
Natürlich komme ich dahinter. Früher oder später. Und werde mich angemessen dafür revanchieren.
Die Rache ist mein.
Ich bewege meine gefesselten Beine zur Seite, bis ich in der engen Spalte quer sitze.
Ziehe die Beine an, bis meine Knie den Brustkorb berühren.
Schiebe mich rückwärts dicht an die Felswand.
Versuche, mich gegen sie zu stemmen. Bis es mir schließlich gelingt aufzustehen.
Scheiße!
Obwohl ich ganz aufrecht stehe, sehe ich nichts außer Felsen und nochmals Felsen. Und den bewölkten Himmel über mir.
Die Spalte ist offensichtlich viel zu tief, als dass Vorbeifahrende mich vom Schotterweg aus sehen könnten.
Dann muss ich mich wohl selbst aus diesem Lavasprung befreien.
Zuerst muss ich meine Hände freibekommen. Auch wenn sie hinter meinem Rücken gefesselt sind. Muss erstmal das robuste Klebeband zerfetzen.
Ich presse meine Arme ganz eng an die raue Steinwand. Reibe meine Handgelenke über die groben Bruchkanten. Von links nach rechts, hoch und runter.
Verdammt, tut das weh!
Trotzdem mache ich weiter. Auch als ich merke, wie heißes Blut über meine Handrücken läuft und zwischen den Fingern verklebt.
Gelegentlich prüfe ich, wie stramm meine Fesseln noch sind. Aber ich schabe mit meinen blutigen Händen beharrlich weiter an den scharfen Steinen.
Letzten Endes gibt das Klebeband nach.
Ich betrachte meine Hände. Sie sind blutig und zerschrammt.
Eine Riesenwut kocht in mir hoch.
Ich schwöre, dass der Täter dafür hundertfach zahlen wird.
Nein, tausendfach.
Der Zorn gibt mir eine Extraportion Kraft.
Ich reiße das Klebeband mit einer schnellen Bewegung vom Mund.
»Auuuaaa!«, brülle ich in die Landschaft.
Bücke
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