Mord in Thingvellir
benutzen, an die sie sich sowieso erinnern. Aus alter Gewohnheit. So wie Geburtstag und -jahr. Oder Geburtsdaten ihrer Angehörigen.
War der Alte auch so einer?
Drei Zahlen. Tag. Monat. Jahr.
Man kann’s ja mal probieren.
Ich drehe die Scheibe des Zahlenschlosses. Stelle zuerst den Tag ein. Dann den Monat. Und die letzten beiden Ziffern vom Jahr.
Packe den Griff.
Er bewegt sich keinen Millimeter.
Der Versuch ist also fehlgeschlagen. Es sei denn, die Reihenfolge ist eine andere.
Ich versuche es wieder. Beginne bei der Jahreszahl. Ende beim Tag.
Das gleiche Ergebnis.
Was käme sonst noch in Frage?
Der alte Knabe hat sich sicher den Geburtstag seiner Exfrau gemerkt. Aber warum sollte er ihn verwenden? Nachdem Mama ihn verlassen hat?
Ich versuche es trotzdem. Aber ohne Erfolg.
Also hat er weder seinen noch Mamas Geburtstag genommen.
Klare Sache.
»Mist!«
Der Kerl hat die besondere Fähigkeit, mir auf die Nerven zu gehen. Obwohl er tot ist.
Aber natürlich ist es eher unwahrscheinlich, dass einem auf diese Weise die richtigen Zahlen in den Schoß fallen. Genauso unwahrscheinlich wie schwarze Krähenbeeren in der Hölle.
Ich setze mich wieder an den Computer. Versuche, mich auf meine Pflichten zu konzentrieren.
Aber?
Nein, zum Teufel!
Wir haben uns als eingeschworene Feinde getrennt.
Warum sollte er jedes Mal an mich denken wollen, wenn er den Tresor aufmacht?
Ich gucke wieder auf die Zahlenscheibe. Zögerlich. Bevor ich mich dazu entschließe, noch einen Versuch zu starten, um das Monstrum zu öffnen.
Mein Geburtstag ist der 19. Juni. Im Jahr 1969.
Neunzehn. Sechs. Neunundsechzig.
Ich drehe erneut die Scheibe. Packe den Griff. Versuche, ihn runterzudrücken.
Alles hermetisch abgeriegelt.
Scheiße!
Ich nehme die gleichen Zahlen noch mal. Aber rückwärts.
Neunundsechzig. Sechs. Neunzehn.
Letzter Versuch. Wenn das nicht klappt, lasse ich diesen vermaledeiten Metallhaufen in Einzelteile zerlegen, die ich dann ins Meer werfe. Damit sie für alle Ewigkeit verloren sind.
Ich lege meine rechte Hand auf den Griff. Drücke ihn hinunter.
Der Bolzen springt mit einem lauten Krachen zurück.
Unglaublich.
Hat der Alte mich wirklich ständig im Hinterkopf gehabt?
Ich reiße die Tür auf. Sperrangelweit.
Im Tresor gibt es zwei Regale. Und ein paar braune Kartons.
Am besten, ich fange ganz unten an. In der untersten Kiste mit den Fotoalben, in der Thórdís gewühlt hat, als ich sie auf frischer Tat ertappt habe.
Ich öffne das erste Album. Blättere es flüchtig durch.
Es sind alles Schwarzweißfotos.
Manche vom Haus in Klettur. Und von der Natur rund um den Hof. Andere von weiter entfernten Orten in der Gegend. Von Plätzen, an denen ich noch nie war.
Ähnliche Bilder befinden sich in den weiteren Alben, die in diesem Karton liegen. Isländische Landschaft in verschiedenen Grautönen. Dörfer. Berge. Wasserfälle. Geysire. Strände. Meer. Blumen. Steine.
Ich lege alle Alben wieder in den Pappkarton. Schiebe ihn zur Seite. Und ziehe den nächsten Kasten aus dem Tresor.
Darin liegen ein paar alte Kameras. Asahi Pentax. Zenit. Olympus. Leica. Aber auch ein Vergrößerungsglas. Linsen. Und anderes Zubehör.
Leica?
Warum war Thórdís so sehr an dieser alten Kamera interessiert?
Ich nehme die Kamera in die Hände. Drücke auf den Auslöser, bevor ich das Filmfach öffne.
Es ist leer.
Ich lege die Kamera wieder in den Tresor und ziehe zwei Kisten zu mir heran, die das nächste Regal füllen.
Noch mehr Fotoalben.
Als ich das erste Album öffne, springt mir ein schwarzweißes Foto von Elín Edda ins Auge. Sie sieht so kindlich und unschuldig aus. Trotz ihrer Nacktheit.
Ich blättere das Album schnell durch.
Alle Fotos darin zeigen Elín Edda. Die meisten wurden in einem Hotelzimmer in Klettur gemacht. Auf einem Bett. Vor dem Spiegel im Badezimmer. Und unter der Dusche.
Sie guckt auf allen Bildern ernst. Nirgendwo der Anflug eines Lächelns.
Verdammter Widerling!
Ich knalle das Album wütend wieder zu. Und nehme mir das nächste vor.
Mehr Nacktfotos. Von Mädchen, die ich nicht kenne. Außer im untersten Album.
Es ist Thórdís gewidmet.
Der Alte hat sie draußen im Sonnenschein fotografiert. Am Abhang oberhalb von Klettur. Da. wo der Birkenwald den Wind abhält. Aber auch in einem Hotelzimmer.
Thórdís lächelt auf manchen Bildern. Als ob es ihr Spaß machen würde, sich nackt fotografieren zu lassen.
In zwei Kisten, die auf dem oberen Regal stehen, sind längliche, weiße
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