Mord in Wien: Wahre Kriminalfälle (German Edition)
„Bertini“ gefallen ist. Am dritten Verhandlungstag meldet sich bei Stern sogar ein wegen Betrugs einsitzender Häftling und behauptet, dass er Bertini kenne und die Adresse eines Mittelmannes nennen könne. Es hilft alles nichts, der Vorsitzende lässt die Einvernahme des Häftlings nicht mehr zu.
Der mit der Prozessführung unzufriedene Strafverteidiger bemüht sich nach Kräften, in seinem Schlussplädoyer Widersprüche in der Anklage aufzudecken: Beispielsweise versucht er nachzuweisen, dass Eckhardt durch stundenlange Polizeiverhöre mürbe gemacht worden sei und deshalb – dritte Variante – das Verbrechen allein auf sich genommen habe. Die Geschworenen folgen seinen Argumenten nicht. Am späten Abend des 25. März 1953 sprechen sie Adrienne Eckhardt einstimmig des Raubmordes schuldig. Das Urteil lautet auf lebenslangen, schweren Kerker.
Stern meldet Berufung an und kann am 2. Juli 1953 immerhin eine Herabsetzung der Strafe auf 20 Jahre bewirken. Die Höchstrichter bestätigen den Schuldspruch der ersten Instanz und begründen ihre Entscheidung mit der Jugend der Angeklagten und den ungünstigen Einflüssen durch Elternhaus und Bekannte. Wenig später bringt Adrienne Eckhardt im Gefängnis ein Mädchen zur Welt. Mehrere Wideraufnahmeanträge scheitern, und Stern gibt 1958 die Vertretung an einen Kollegen ab.
1967 erhält Eckhardt eine zweite Chance. Noch vor Ablauf der 20-Jahres-Frist wird sie im Rahmen einer Weihnachtsamnestie bedingt aus der Haft entlassen. Mit neuem Namen versehen kommt sie bei Bekannten in einem anderen Bundesland unter.
Schleichendes Gift
Toxische Substanzen als Spiegel der Zeit: Eine verdrossene Ehefrau tastet sich an die erste Tötung mit Zelio heran. Wenig später perfektioniert eine verschlagene Schönheit die Anwendung der Rattenpaste am Menschen. Schließlich gibt kohlenmonoxidhältiges Stadtgas forensische Rätsel auf: einmal ist es ein vermeintlicher Mord, der sich als Selbstmord entpuppt, ein andermal die als Suizid getarnte Beseitigung der unliebsamen Gattin samt Schwiegermutter.
Poison à la mode
Wie Kleidung unterliegen die bevorzugten Werkzeuge der Giftmörderinnen modischen Strömungen: In den Goldenen Zwanzigern kam nicht nur der kniekurze Rock auf, sondern auch ein neuartiges Mittel zur Ratten- und Mäusevertilgung, das sich wegen seines dezenten Geschmacks bequem ins Gulasch für den lästigen Ehegatten mixen ließ. Die erste kriminelle Verwendung des Mittels ereignete sich in Wien zu einer Zeit, als die hiesige Gerichtsmedizin noch höchste Reputation genoss: Prof. Albin Haberda kam der Mutter aller Zelio-Mörderinnen auf die Schliche und publizierte den Fall, womit die von der Bayer AG auf den Markt gebrachte Rattenpaste erst recht zum Mode-Hit unter den Giftmischern und Giftmischerinnen avancierte.
Schmerzen in den Beinen
Die seltsame Erkrankung des 29-jährigen Metalldruckergehilfen Hermann Lichtenstein aus Wien-Ottakring beginnt in der letzten Juniwoche des Jahres 1925. Am 24. serviert seine Frau Leopoldine ihm Wurst mit Paradeissauce, wonach er erbricht. Auch den Milchkaffee am nächsten Morgen kann Lichtenstein nicht bei sich behalten. Noch sorgt er sich nicht und denkt an eine vorübergehende Magenverstimmung. Aber anstatt so jäh zu verschwinden wie sie gekommen sind, verschlimmern die Beschwerden sich in den nächsten Tagen zusehends, und es kommen auch neue Symptome hinzu: Durchfall, Magenkrämpfe und vor allem Schmerzen in den Beinen, die am 11. Juli so heftig sind, dass Lichtenstein nicht mehr gehen kann. Der herbeigerufene Arzt spricht von Gelenksrheumatismus und weist den Patienten ins Wilhelminenspital ein.
In den kommenden Wochen, die er im Krankenhaus verbringt, leidet der vormals kräftige Mann weiterhin an Übelkeit, Erbrechen und ziehenden Schmerzen in den Waden sowie in den Endgliedern der Zehen und Finger. Die Durchfälle wandeln sich zur hartnäckigen Stuhlverstopfung, und zu allem Überfluss fallen Lichtenstein auch noch büschelweise die Haare aus. Besonders die Beinschmerzen lassen die Spitalsärzte an eine unnatürliche Ursache der Krankheit denken, denn das Symptom ist typisch für eine chronische Vergiftung mit Arsen, ein bis ins 19. Jahrhundert hinein äußerst beliebtes Mittel, sich unliebsamer Zeitgenossen zu entledigen.
Im Falle Hermann Lichtensteins wird der Verdacht auf eine absichtliche Vergiftung zwar den Behörden gemeldet, die polizeilichen Erhebungen aber führen zu keinem Ergebnis, denn Leopoldine Lichtenstein
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