Mord inclusive
ihre Augen kurze Blitze schossen, aber nicht in die Richtung von Anni, sondern in die Richtung ihrer Schwester. Doch es war nur ein Moment, dann begann sie auf Lydia einzureden, die Anni zuhören wollte. Lydia schaute sie ärgerlich an und rückte ein Stück von ihr ab.
Anni steuerte uns geschickt durch das Museum, blieb stehen, um uns die Highlights zu erklären, die wir gehorsam bewunderten. Manche Schätze waren von anderen Gruppen umringt, sodass wir ein wenig warten mussten. Nach dem großen Rundgang gab uns Anni die Möglichkeit, selbständig auf Entdeckungsreise zu gehen.
»Dreißig Minuten«, rief sie uns nach. Unser Touristenleben war in Stückchen von dreißig Minuten eingeteilt. Wir blickten auf unsere Uhren und rannten auseinander wie Schaben in einer Küche.
Kyla und ich hielten geradewegs auf den Mumiensaal zu, wobei wir dreitausend Jahre Geschichte und die dazugehörigen Kunstwerke glatt ignorierten. Solches Verhalten erwartete man eigentlich von Highschool-Girls, was meine Theorie bestätigte, dass der Mensch von seinem vierzehnten Lebensjahr an nicht mehr an Reife zunimmt. Wir blieben nur stehen, um auf dem Prospekt den Weg zu dem Saal zu suchen, dann liefen wir kichernd die Stufen hinauf.
Die Ägypter, die natürlich wussten, dass die Mumien die Touristen am meisten interessierten, erhoben für diesen Saal ein zusätzliches Eintrittsgeld. Ich holte ein Bündel zerknüllter muffiger ägyptischer Pfunde aus meiner Brieftasche und zahlte damit für ein grellfarbig bedrucktes Ticket. Die Eintrittskarten für alle Sehenswürdigkeiten waren so schön, dass man sie glatt für ein Album sammeln konnte. Einige Schritte weiter wiesen wir sie einem gelangweilten Kontrolleur vor, der uns nur durchwinkte. Sorgfältig verstaute ich das Kärtchen in meiner Brieftasche, bemüht, es nicht zu knicken. Kyla knüllte ihres zusammen, schaute sich nach einem Papierkorb um, fand keinen und stopfte das Papierkügelchen in ihre Tasche.
Der Raum mit den Mumien war klein und schlecht beleuchtet. Es herrschte eine solche Stille, dass man sich wie in einer Kirche oder einer Bibliothek vorkam. Die Luft in dem niedrigen Raum roch modrig und abgestanden, als stamme sie wie die Mumien aus einer Krypta. Ich spürte, wie mir Schweißperlen über den Rücken liefen. Als sich unsere Augen an das trübe Licht gewöhnt hatten, erkannten wir längs der Wände Schauschränke und am Boden mitten im Raum ein par flache Glaskästen. Die Gestalten darin waren von schwachen Scheinwerfern erleuchtet. Bei den Glasschränken in der Ecke stand ein Touristenpärchen. Es nahm keine Notiz von uns, als wir eintraten.
Vorsichtig näherten wir uns dem ersten Glaskasten am Boden und machten uns auf jede Menge Horrorbilder gefasst. Wir schauten in den offenen Sarg einer Frau.
»Wie klein sie ist«, sagte Kyla nach einer Weile. »Und so ... vertrocknet.«
Das war sie in der Tat. Klein, brüchig und unheimlich.
»Vielleicht haben wir uns zu viele Horrorfilme angeschaut«, bekannte ich.
»Ich könnte schwören, ich bin ihr letztes Jahr an einem Strand in Florida begegnet. Die ledrige Haut und die spitzen Wangenknochen ...«
Wir mussten beide lachen. Das Touristenpärchen drehte sich um und schaute uns vorwurfsvoll an.
Die Tür zum Saal der Mumien öffnete sich mit einem leisen Geräusch, und Alan Stratton trat ein. Er blieb stehen, um sich an die Beleuchtung zu gewöhnen. Kyla lebte auf. Die verschrumpelten und bandagierten Gestalten waren sofort vergessen.
»Das ist doch was ganz anderes«, flüsterte sie mir mit einem Augenzwinkern zu. Sofort war sie an seiner Seite.
Ich setzte meine Besichtigung fort, um ihren Flirt nicht auf leeren Magen ertragen zu müssen. Ich sehnte mich nach dem Abendessen, Füße und Rücken taten mir weh. Und nun hatte ich niemanden mehr, um über die Mumien zu lästern. Genau der richtige Zeitpunkt, um ins Hotel zurückzukehren.
Da stürzten Susan und Tom Peterson in den Raum und blickten aufgeregt umher. Susans kleines rundes Gesicht wirkte vor Sorge ganz verzerrt.
»Verdammt noch mal!«, sagte Tom. »Wo stecken die jetzt schon wieder?«
»Ich war sicher, wir würden sie hier finden«, antwortete Susan und war den Tränen nah.
Als sie mich erblickten, kamen sie auf mich zu.
»Haben Sie unsere Jungen gesehen?«, fragte Susan. »Sie sind uns wieder einmal davongelaufen, und wir haben sie aus den Augen verloren.«
Ich fühlte mit ihr, denn sie schien sich noch entschuldigen zu wollen. Ich versuchte, ernst zu
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