Mord inclusive
Alan für meine Grobheit entschuldigen musste. Wenn er dann noch zuhören sollte, wollte ich ihm alles sagen, was ich über die Vorfälle wusste. Was immer Alan Stratton war oder nicht war, mit den Morden hatte er nichts zu tun. Mir war endlich aufgegangen, was mich schon die ganze Zeit quälte: Wenn er mich der Beteiligung daran verdächtigte, konnte das nur heißen, dass er selbst nicht involviert war. Jetzt nicht mit ihm zu reden würde ich mir später nie verzeihen. Unsere Reise neigte sich ihrem Ende zu. Wahrscheinlich sah ich ihn nie wieder. Wollte ich wirklich gehen, ohne zu wissen, was er mir zu sagen hatte?
Vor dem Abendprogramm blieben uns noch ein paar Stunden auf dem Schiff. Kyla zog sich mit einem Buch auf das Sonnendeck zurück, was mir die Chance gab, nach Alan zu schauen, ohne dass sie sich darüber lustig machte.
Ausgerechnet jetzt konnte ich ihn nirgends finden. Er war weder in der Lounge noch im Souvenirshop oder auf dem Sonnendeck. Ärgerlich ging ich durch die Lobby, als mir Anni über den Weg lief.
Wie immer lächelte sie mir freundlich zu. Sie machte sogar den Eindruck, sich zu freuen, dass sie mich sah, obwohl sie gerade ein paar Minuten frei hatte. Ich weiß nicht, wie sie das hinbekam.
»Hallo, Jocelyn. Brauchen Sie etwas?«
»Nein, nein. Eigentlich nicht. Oder doch. Wissen Sie, wo Alan ist?«
Sie blieb wie stets ruhig und gelassen, aber sie schaute mich an, als wisse sie etwas. »Vielleicht ruht er sich gerade in seiner Kabine aus.« Sie schlug ein kleines Notizbuch auf, das sie immer bei sich trug, und blätterte darin. »Nummer 207.«
»Danke.« Ich ging auf die geschwungene Freitreppe zu, zögerte dann und fragte mich, ob ich nicht vorher anrufen sollte. Aber die Lobby war mir dafür zu öffentlich.
Anni schien Gedanken lesen zu können. »Klopfen Sie doch einfach bei ihm an. Er freut sich bestimmt.«
Verlegen lächelte ich ihr zu, holte tief Luft und stieg die Stufen hinauf. An seiner Kabinentür klopfte ich sofort an, bevor ich es mir anders überlegen konnte.
Es dauerte nur ein paar Sekunden, aber die kamen mir wie eine Ewigkeit vor. Ich glaubte schon, er sei nicht drin, da öffnete er die Tür.
Alan hatte feuchtes Haar, als komme er geradewegs aus der Dusche, trug ein T-Shirt und dazu Shorts, in die er vielleicht gerade erst geschlüpft war, um die Tür aufzumachen. Er war barfuß, und seine Augen wirkten besonders grün.
Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber ich brachte kein Wort heraus.
Er erfasste die Situation sofort. »Kommen Sie herein. Ich bin wirklich froh, Sie zu sehen.«
Er räumte ein paar Sachen von den Sesseln vor dem Panoramafenster fort und warf sie mit einem Schwung auf das unbenutzte zweite Bett. Wir standen voreinander und sahen uns an.
»Ich wollte mich entschuldigen ...«
»Es tut mir so leid ...«
Wir sprachen beide zur gleichen Zeit. Dann musste er lachen. »Ich weiß, eigentlich lässt man den Damen den Vortritt, aber wenn Sie erlauben, möchte ich zunächst etwas klarstellen.«
Ich nickte.
»Ich bin der Besitzer von WorldPal-Tours«, sagte er.
»Waaas?« Ich starrte ihn an. Vor Überraschung blieb mir der Mund offen stehen. Das hätte ich nun am allerwenigsten erwartet. Aber seine Fragen, sein Umgang mit der Polizei, sein merkwürdiges Kommen und Gehen – all das erhielt plötzlich einen Sinn.
»Ich habe die Firma vor zehn Jahren gegründet. Als ich aus der Schule kam, hatte ich schon eine Menge Reiseerfahrung. Da meinten mein Partner und ich, wir könnten Touren besser organisieren als andere Reisebüros, indem wir lokale Reiseführer anstellten, die eigenes Wissen und landesüblichen Service einbrachten. Es funktionierte überraschend gut. Wir haben eine Nische gefunden, sind ein bisschen teurer als die üblichen Pauschalreisen, haben aber immer noch moderate Preise und sind sehr gefragt.
Drei-, viermal im Jahr begleite ich eine Gruppe als Gast, um mir selbst ein Bild zu machen, wie es läuft. In der Regel stelle ich dabei nichts Außergewöhnliches fest. Vielleicht dass die Gäste an einem Tag zu lange im Bus unterwegs sind. Dann ändere ich das Programm. Oder ein Hotel lässt in der Qualität nach, also sorge ich dafür, dass künftig ein anderes gebucht wird. Ich vertraue den einheimischen Reiseführern, und das hat sich ausgezahlt. Zumindest bis vor Kurzem.«
»Bis zu Millies Tod«, warf ich ein.
»Ja, aber angefangen hat es schon früher. Vor einigen Wochen schickte mir Anni eine E-Mail, in der es hieß, sie habe
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