Mord inclusive
höflich zu bleiben. »Kann sein. Ich gebe zu, ich würde auch lieber den Wind in den Ruinen heulen hören, so wie es damals war. Das muss total unheimlich gewesen sein. Aber dann wüssten wir nicht, wie groß sie sind. Selbst was hier zusammengesetzt wurde, ist sehr beeindruckend.«
»›Seht meine Werke, Mächt’ge, und erbebt!‹«, zitierte er.
»›Mein Name ist Osymandias, aller Kön’ge König‹«, ergänzte ich überrascht die Zeile aus Percy Shelleys berühmtem Gedicht.
Abrupt wandte sich Alan mir zu und nahm meine Hände. »Hören Sie, Jocelyn. Ich ... ich muss Ihnen etwas sagen. Und mich entschuldigen.«
Er hatte große warme Hände. Ich blickte auf sie nieder und machte keine Anstalten, meine zurückzuziehen. Er stand so nahe bei mir, dass ich den Duft der Seife und seiner Haut riechen, die Wärme seines Körpers spüren konnte. Fragend hob ich meinen Blick.
»Ich bin ... Verdammt noch mal, es ist schwerer, als ich dachte.« Er holte tief Luft und setzte noch einmal an. »Schauen Sie, ich bin nicht genau das, was ich Ihnen gesagt habe.«
Mit einem Ruck zog ich meine Hände zurück. »Na klar. Sie schleichen hier überall herum, Sie reden mit der Polizei, Sie sprechen Arabisch. Heißen Sie überhaupt Alan?«
»Ja! Natürlich!«, stieß er hervor.
»Und sind Sie verheiratet?« Das war wichtig.
»Nein! Ich war nie verheiratet.«
»Und keine tote Frau, mit der Sie diese Reise geplant haben?«
Er hatte so viel Anstand, sich zu schämen. »Nein. Damit wollte ich nur erklären, warum ich allein reise.«
»Und Finanzanalytiker sind Sie natürlich auch nicht.«
»Nicht wirklich. Manchmal kontrolliere ich mein Scheckbuch«, fügte er hoffnungsvoll hinzu.
Das ignorierte ich. »Stimmt überhaupt etwas von dem, was Sie mir erzählt haben?«
Er wollte etwas sagen, aber dann zögerte er. Aus der Ferne winkte Anni mit dem Hello-Kitty-Schirm, und die Gruppe ging langsam zum Bus. Dort stand Mohamed ganz allein und schaute zu Alan und mir herüber. Aus unerfindlichem Grund war mir das unangenehm.
»Das zu erklären, brauche ich etwas mehr Zeit. Können wir später weiterreden?«
Jetzt zögerte ich. Schließlich sagte ich: »Wozu? Sie haben mich nach Strich und Faden belogen. Zwei Tage, dann sehe ich Sie nie wieder. Was soll das Ganze also noch?« Ich spürte, wie die Enttäuschung dieser Worte in meinem Mund einen gallebitteren Geschmack hinterließ. Ich schluckte ihn hinunter. »Was immer Sie mir auch sagen wollen, weshalb sollte ich Ihnen noch glauben?«
Er wirkte angeschlagen, sagte aber nichts. Ich drehte mich um und ging zu den anderen zurück. Insgeheim hoffte ich, er möge mir nachlaufen, mich festhalten und bitten, ihn anzuhören, aber er blieb stocksteif stehen. Als er schließlich in den Bus stieg, setzte er sich auf einen weit entfernten Platz.
Unser nächster Halt war Deir el-Bahari, der große Tempel, den Königin Hatschepsut errichten ließ. Das direkt aus der Feldswand gehauene Bauwerk machte den Eindruck, als bestehe es aus einem einzigen gewaltigen weißen Steinblock. Drei Höfe auf verschiedenen Ebenen, von markanten Säulen gestützt, waren durch eine als Rampe angelegte massive Treppe verbunden, die sanft vom Tal her aufstieg. Im Vergleich zu anderen Grabstätten, die wir gesehen hatten, wirkte diese eher wie der Palast einer Königin als ein Bauwerk, das dem Tod gewidmet war.
Der Parkplatz wimmelte bereits von Touristen, und gerade war ein Schulbus angekommen, aus dem viele Kinder sprangen. Meinen interessantesten Schulausflug als Kind hatte ich zum Capitol von Texas in Austin unternommen. Diese Kinder stiegen fröhlich vor den größten Monumenten der Weltkultur aus dem Bus. Ich fragte mich, ob sie das wirklich zu schätzen wussten. Da ich sah, wie zwei Jungen sofort miteinander zu raufen begannen, war das sicher nicht der Fall.
Anni ließ uns nicht sofort aussteigen, sondern gab uns zunächst einen kurzen, aber sehr aufschlussreichen Überblick über die Herrschaftszeit der einzigen Pharaonin Ägyptens und bereitete uns auf das vor, was wir zu sehen bekommen sollten. Ich hörte überhaupt nicht zu. Ich musste mich zwingen, nicht zu Alan hinzuschauen. Zugleich versuchte ich herauszubekommen, warum Mohamed aus dem Fahrzeug gestiegen war und jetzt draußen in sein Handy sprach. Dabei schritt er auf und ab, gestikulierte mit der freien Hand und warf ab und zu einen Blick auf die Busfenster. Ich war nicht sicher, ob er uns durch das getönte Glas sehen konnte, aber am liebsten
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