Mord ist aller Laster Anfang: Ein Mitchell & Markby Roman
Gegenstand auf. Es war eine Flickenpuppe. Sie war schmuddlig und fleckig, und man sah ihr an, daß sie sehr alt und vielleicht sogar aus der Mülltonne herausgeholt worden war. Aber ihre schlimmsten Schäden kamen nicht von Abnutzung und Verschleiß, sie waren ihr absichtlich zugefügt worden. Jemand hatte ihr mit einem scharfen Messer oder einer Schere das Gesicht aufgeschlitzt und mit roter Farbe verschmiert, so daß es aussah, als würde sie bluten. Die Puppe war durch und durch feucht, woraus man schließen konnte, daß sie am Abend vorher nach Einbruch der Dunkelheit vor das Tor geworfen worden war und die ganze Nacht dort gelegen hatte. Der Zeitungsjunge mußte sie gesehen haben, hatte sie jedoch wohl kaum beachtet. Der Milchmann, der bei Tagesanbruch hier gewesen war, hatte sie bei dem schlechten Licht wahrscheinlich nicht entdeckt. Und Mrs. Yewell, vermutlich ganz darauf konzentriert, ihr uraltes Fahrrad zu schieben, hatte sie sicher nicht bemerkt. Es war nicht anzunehmen, daß sie eine besonders aufmerksame Person war, vielleicht aber hatte sie das Ding auch nur für einen alten Lappen gehalten. Die Puppe sollte auf jeden Fall von dem Familienmitglied gefunden werden, das als erstes durchs Tor ging.
Meredith betrachtete die Puppe angewidert und mit wachsendem Zorn. Daß sie eine menschliche Form hatte, machte sie besonders unheimlich. Wieder mußte Meredith an Hexerei denken. Das Rinderherz mochte noch ein höchst geschmackloser Scherz gewesen sein, aber zusammen mit der verstümmelten Puppe begann das Ganze eher nach einem Rachefeldzug auszusehen. Sie wickelte die Puppe in eine Zeitung und schickte sich an, ins Haus zurückzugehen.
Elliott, überraschenderweise in einen makellosen türkisgrünen Jogginganzug gehüllt, stand, die Arme vor der Brust gekreuzt, auf der obersten Stufe und beobachtete sie. Sein blasses Leichenbestattergesicht hatte einen wissenden Ausdruck, der sie wütend machte, und unwillkürlich hielt sie das Papierbündel fester und preßte es an sich. Zugleich war sie aufgebracht über die Art und Weise, wie dieser Mann immer unerwartet auftauchte.
»Wohl wieder was gefunden?« Das klang, wie schon beim erstenmal, nicht überrascht, nur sehr mißbilligend.
»Sie wissen wesentlich mehr darüber, als sie zugeben«, entgegnete Meredith gereizt.
Sie versuchte an ihm vorbei in die Eingangshalle zu schauen. Ihren Blick richtig deutend, sagte er: »Alles in Ordnung, noch niemand ist aufgestanden. Wollen Sie mir nicht zeigen, was Sie da haben?«
Stumm schlug sie die Zeitung auf und ließ ihn die Puppe sehen.
Er spitzte die Lippen und murmelte: »Ts, ts, ts.«
»Vielleicht«, sagte Meredith knapp, »würden Sie mir mal erklären, was Sie über das Ganze wissen.«
Er nickte. »Klar, aber es ist nicht viel. Was halten Sie davon, wenn wir hineingehen?«
Im Haus beugte er sich über die Puppe, die auf dem Tisch lag, schien sich aber so davor zu ekeln, daß er sie nicht anfassen wollte. »Ich habe so was schon ein paarmal hier gefunden, es aber ganz schnell wieder verschwinden lassen.«
»Wie das Ochsenherz?« Er ließ sich zu keiner Antwort herbei, und Meredith fragte ruhiger: »Weiß Eve etwas von diesen scheußlichen Dingern?«
»Ich habe ihr nichts davon gesagt, wenn Sie das meinen. Und ich rate Ihnen, es auch nicht zu tun.« Er wandte sich von ihr ab. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund war auf dem Rücken seiner Joggingjacke eine große 9 aufgedruckt. Er ging zum nächsten Sessel und ließ sich mit katzenhafter Geschmeidigkeit hineingleiten, faltete die blassen, weichen Hände und stützte sie auf seine türkisfarbenen Knie. »Gut, ich lege meine Karten auf den Tisch. Ich möchte nicht, daß Evie sich aufregt. Ich möchte nicht, daß die Kleine sich aufregt. Ich möchte, daß die Kleine heiratet und Evie mit mir in die Staaten reist. Ich weiß nicht, was das alles soll, zum Teufel – aber wenn ich Evie in ein Flugzeug setzen kann, stört es verdammt noch mal sowieso niemanden mehr.«
»Wie können Sie so was sagen?« stieß sie wütend hervor. »Ich will wissen, was es zu bedeuten hat.«
»Ich kann Ihnen sagen, was es bedeutet, Schätzchen. Es bedeutet, daß wir hier irgendwo einen Verrückten in der Nähe haben. Doch solange es uns gelingt, das Zeug zu finden, bevor Eve es tut – oder die Kleine –, ist es unwichtig. Glauben Sie mir. Ich hatte schon genug mit Spinnern zu tun. Film- und TVStars, Persönlichkeiten jeder Art ziehen sie magisch an. Diese Typen sind gestört, sie führen ein
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