Mord ist aller Laster Anfang: Ein Mitchell & Markby Roman
Fliesenboden standen zwei Paar Gummistiefel. Sie nahm sich das größere Paar, dachte mit leisem Bedauern daran, daß sie vermutlich früher einmal Robert gehört hatte, und schlüpfte in den zerknautschten grünen Anorak, der über den Stiefeln hing und höchstwahrscheinlich Sara gehörte. Dann verließ sie das Haus.
Sie fühlte sich in den geliehenen Sachen nicht sehr wohl und stapfte schweren Schrittes den Weg entlang, der auf das Friedhofstor zuführte. Ein plötzliches Rascheln im Graben verriet ihr, daß sie nicht allein war. Sie zuckte zusammen und blieb stehen. Aus dem Gestrüpp tauchte die Gestalt eines Mannes auf.
»Guten Morgen«, sagte Philip Lorrimer und kletterte schnaufend auf den Weg zurück.
Ohnehin schon reichlich nervös, machte Meredith ihrem Ärger Luft. »Du meine Güte«, rief sie vorwurfsvoll, »jetzt bin ich vor Schreck fast umgefallen! Was in aller Welt tun Sie da?«
»Tut mir leid, wenn ich Ihnen angst gemacht habe«, entschuldigte er sich. »Ich suche Jerry, einen meiner Kater. Sie haben ihn wohl nicht gesehen? Er sieht genauso aus wie Tom, ist nur ein bißchen kleiner, und sein linkes Ohr ist eingerissen.«
Sie schüttelte den Kopf, und der hoffnungsvolle Ausdruck in seinem Gesicht erlosch. Sie stellte fest, daß er blaß und erschöpft aussah.
»Ich werde mich nach ihm umsehen«, bot sie ihm an, bemüht, ihre Schroffheit wieder gutzumachen.
»Er streunt gern herum«, sagte Lorrimer besorgt. Seine Stimme klang heiser. »Ich habe Angst, daß er einem Fuchs begegnet ist und bei der Begegnung den kürzeren gezogen hat. Ich glaube, daß die Verletzung an seinem Ohr auch von einem solchen Kampf herrührt. Entweder hat der Fuchs ihn erwischt, oder jemand hat ihn geklaut. Die Leute klauen nämlich Siamkatzen. Er fürchtet sich vor nichts und niemandem, und wenn ein Wagen anhält und jemand, auch ein völlig Fremder, ihn ruft, läuft er garantiert schnurstracks hin, um nachzusehen, was es gibt.« Lorrimer zog ein Taschentuch heraus und wischte sich den Mund ab.
»Alles in Ordnung?« fragte Meredith und musterte ihn genauer; er sah schrecklich aus.
»Ehrlich gesagt, fühle ich mich nicht so besonders. Vor einer halben Stunde habe ich mein Frühstück erbrochen und habe seither Leibschmerzen.«
»Vielleicht sollten Sie zum Arzt gehen.«
»Hab für Quacksalber nicht viel übrig. Vor allem nicht für den, der unten im Rose Cottage wohnt«, sagte er kurz. »Ich hatte diese Übelkeiten schon ein paarmal. Nenne sie die Rache des ›Dun Cow‹. Harry vergißt dauernd, die Zapfhähne sauberzumachen.« Er lächelte matt und steckte das Taschentuch in seine Jeans. Die Hose war übersät mit getrockneten Tonstreifen und Farbklecksen. Unvermittelt verzerrte sich sein Lächeln zu einer jammervollen Grimasse. Er keuchte, als falle es ihm schwer zu atmen, dann brach er zusammen, der Kopf sank ihm auf die Knie, und er gab gräßliche Würgegeräusche von sich.
»Warten Sie, ich helfe Ihnen!« rief Meredith. Dem Schicksal dankend, daß sie so kräftig gebaut war, packte sie ihn bei den Schultern, hievte ihn in die Höhe und machte sich mit ihm zu seinem Cottage auf. Er versuchte zu sprechen, doch sie befahl: »Nicht jetzt, später!«
Zusammen stolperten sie den Pfad durch seinen Garten entlang und durch die offenstehende Haustür. Hier schüttelte Lorrimer ihren Arm ab, mit dem sie ihn stützte, taumelte allein nach hinten in die Küche und erbrach sich über dem Ausguß. Meredith wartete. Sie hörte Wasser laufen, dann kam er zurück, weiß wie ein Laken und mit Schweißperlen auf der Stirn. Doch er schien sicherer auf den Beinen zu sein.
»Tut mir leid«, sagte er.
»Macht nichts. Hören Sie, ich glaube, es ist besser, wenn ich Russell anrufe.«
»Nein!« Lorrimer schlich zu einer Art Diwan, auf dem ein leuchtend bunter, handgewebter Überwurf lag, der Meredith auffiel, obwohl ihr in ihrer Sorge um Lorrimer kaum der Sinn danach stand, von der Einrichtung Notiz zu nehmen.
Sie blickte auf ihn hinunter. »Ich hole Ihnen ein Glas Wasser«, sagte sie und ging in die Küche. Dort herrschte ein unvorstellbares Durcheinander, und im Ausguß entdeckte Meredith Spuren von Blut und Galle, die nicht richtig weggespült worden waren. Einen Alkoholkater mit solchen Nachwirkungen hatte sie noch nie gesehen. Sie spülte das Becken noch einmal nach, fand neben Dosen mit Katzenfutter Trinkgläser, wusch eines aus, füllte es und brachte es Lorrimer.
»Prost«, sagte er schwach, nahm das Glas und trank Schluck für
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