Mord ist aller Laster Anfang: Ein Mitchell & Markby Roman
oder?«
»Ach, du übertreibst«, entgegnete Eve, setzte sich und griff nach der Speisekarte. »Er ist ein lieber Junge und verdient eine Menge Geld.«
»Das ist es, nicht wahr?« fragte Meredith grimmig. »Du hast betont, wie sehr du es zu schätzen weißt, wenn ich offen zu dir bin, also bin ich es. Ich glaube dir, wenn du sagst, daß du Saras wegen sehr gelitten hast. Aber jetzt hast du von der Rolle der liebenden Mutter genug. Du willst sie an jemand anderen weitergeben. Lazenby kommt da wie gerufen, er wird dir Sara abnehmen. Und du kannst abhauen und in dieser Seifenoper glänzen.«
»Das ist nicht wahr!« Eves Finger umklammerten krampfhaft die Speisekarte, und sie sah Meredith direkt ins Gesicht; ihre violetten Augen blitzten. Einige Leute, die in ihrer Nähe saßen, schauten neugierig zu ihnen herüber. »Natürlich liebt er sie! Und ob er sie liebt! Sie ist meine Tochter! Er muß, er muß!«
Es war nicht der richtige Ort für eine Auseinandersetzung. Doch manchmal überkam Meredith das Gefühl, ihre Cousine packen und sie bei den schönen Schultern schütteln zu müssen, damit sie zur Vernunft kam.
Als Meredith am nächsten Morgen erwachte, war der Himmel grau und verhangen. »Regnet bestimmt noch vor Mittag«, prophezeite Mrs. Yewell. »Wenn Sie spazierengehen wollen, Miss, dann tun Sie’s jetzt.«
Meredith holte sich brav Stiefel und Anorak aus der Garderobe. Als sie den Anorak anzog, fiel ihr am Ärmel ein langer heller Streifen auf, der am Tag vorher noch nicht dagewesen war. Als sie ihn berührte, fiel ein kleines Stück ab. Es sah wie getrockneter Ton aus. Voller Unbehagen zog sie den Reißverschluß zu und begab sich ins Freie.
Der letzte Ort, an den sie zurückkehren wollte, war der Friedhof, sie hatte jedoch auch keine Lust, durchs Dorf zu spazieren. Ihr fiel ein, daß sie bisher den weitläufigen Garten der Pfarrei noch nicht erkundet hatte, und mehr noch, etwas, das Bert gesagt hatte, ging ihr nicht aus dem Kopf.
Der Garten wurde von Mrs. Yewells Ehemann Walter in Ordnung gehalten, der an jedem Samstagvormittag kam. Soviel hatte Meredith erfahren. Walters Hauptaufgaben schienen darin zu bestehen, das Gras zu mähen und die Blumenbeete zwischen dem Einfahrtstor und der Haustür der Pfarrei zu harken. Er war ein sehr methodischer und nicht besonders origineller Gärtner. Die größten Beete waren in militärischen Reihen mit rotem Salbei bepflanzt und erinnerten Meredith an die Blumenbeete, die in osteuropäischen Ländern die öffentlichen Plätze zierten. Aber schon ein Stück vom Haus entfernt war der Garten wunderschön verwildert. Ein großes Gewächshaus stand leer, viele Scheiben waren gesprungen oder zerbrochen, und innen lag überall dicker Staub. Die Obstbäume waren nicht ausgeputzt und beschnitten und trugen daher keine Früchte. Alle möglichen Pflanzen wucherten üppig und wild und machten sich gegenseitig den Platz streitig. Einige waren vor langer Zeit eingepflanzt worden, als man den Garten noch besser gepflegt hatte, andere hatten sich von selbst entwickelt. Meredith verstand nichts von Gartenbau. Einige Pflanzen konnte sie identifizieren, bei anderen rätselte sie herum.
Also das, dachte sie, sieht wie ein Krokus aus. Aber es ist die falsche Jahreszeit, viel zu spät. Kommen Krokusse nicht im Vorfrühling heraus? Jetzt haben wir Frühherbst. Diese malven- und pinkfarbene Blume muß etwas anderes sein. Sie bückte sich und betrachtete sie genauer. Es war eine sehr hübsche, kleine Pflanze, aber jedenfalls kein Krokus. Sie schien auch keine Blätter zu haben. Ein sanfter Windstoß wiegte die pinkfarbene Blume, die an diesem trostlosen Tag ein willkommener Farbfleck war. Meredith ging weiter.
Der Kräutergarten war in letzter Zeit wieder kultiviert worden, wie man deutlich sehen konnte. Hier zog Lucia Petersilie, Majoran und Thymian und auch Salbei, der jetzt seiner purpurnen Blüten beraubt war; daneben gab es einige gelblich-grüne Sträucher Mutterkraut, die noch immer ein paar gänseblümchenähnliche Blüten trugen. Mundspülung, schon kurios. Doch es mochte einen Versuch wert sein. Manchmal halfen diese alten Hausmittel. Es war leicht einzusehen, daß jemand von bäuerlicher Herkunft wie Lucia bedenkenlos auf diese Mittel vertraute. Die alte Frau in der Campania, von der sie erzählt hatte, hatte hier inzwischen genug Äquivalente, wo die alternative Medizin jetzt so modern war. Auf die schlichten Pflanzen hinunterblickend, verstand Meredith auch, warum. Wenn man
Weitere Kostenlose Bücher