Mord ist aller Laster Anfang: Ein Mitchell & Markby Roman
Überraschung. »Oh. Ein Reporter von der ›Bamford Gazette‹ war auch schon hier. Neuigkeiten verbreiten sich hier offenbar schnell. Nun, da es in unmittelbarer Nachbarschaft von Eve Owens’ Haus passiert ist, interessieren sich die Leute natürlich dafür. Aber ich glaube nicht, daß er Glück hatte und in die Pfarrei hineingekommen ist.«
Markby gestattete sich ein Lächeln. »Ich denke, Miss Owens und ihr Hofstaat haben sich schon gegen größere Presse-Invasionen als die der ›Bamford Gazette‹ erfolgreich zur Wehr gesetzt. Da wird er keine Chance haben.«
Er selbst allerdings hatte mehr Erfolg, kam durch das Tor und bis an die Haustür der alten Pfarrei, bevor Lucias üppige Formen ihm den Weg versperrten; die Köchin hatte die Arme in die Hüften gestützt, und ihre Augen glitzerten.
»Sie wollen Miss Owens sehen? Sie ist sehr aufgeregt. Alle diese Leute kommen, gehn. Dieser Junge sterben.« Lucia bekreuzigte sich. »Ist sehr schlimm, wenn junger Mann sterben.«
»Ich möchte eigentlich mit Miss Mitchell sprechen«, sagte er geduldig.
»Sie ist im Garten.« Lucia deutete ihm an, daß er um das Haus herumgehen solle.
Er bedankte sich und bog um die Ecke des Gebäudes, schritt die wie auf dem Exerzierplatz ausgerichteten Reihen der Salbeipflanzen ab und drang dann in die verwilderteren Bereiche des Gartens vor. Dort entdeckte er Meredith, die düster auf eine mit Moos bedeckte steinerne Vase starrte; er hatte Zeit, sie zu beobachten, bevor sie merkte, daß er näher kam.
Er schätzte sie auf Mitte Dreißig, sie war auf eine ruhige Art anziehend und, obwohl nicht so groß, wie sie ihm mit den hohen Absätzen vor ein paar Tagen beim Dinner erschienen war, noch immer groß genug für eine Frau mit flachen Schuhen. Das dichte, glänzende braune Haar war zu einem schlichten Pagenkopf geschnitten. Beim Dinner hatte sie auf ihn den Eindruck einer logisch denkenden Person gemacht, die durchaus einen Sinn für Humor hatte, obwohl die ziemlich merkwürdige kleine Dinnerparty ihr kaum Gelegenheit gegeben hatte, diesen Charakterzug unter Beweis zu stellen. Er dachte jetzt, wie schon damals, daß sie sicherlich zu den Frauen gehörte, die es in dem von ihr gewählten Beruf zu etwas bringen, ohne schön zu sein, weil sie sich auf etwas so Vergängliches wie Schönheit nicht verlassen. Sie kannte sich in ihrem Job bestimmt gut aus und war tüchtig. Sie gefiel ihm. Doch das gehörte nicht hierher.
»So sieht man sich wieder«, sagte er, und als sie aufblickte, fügte er hinzu: »Sie sehen wie eine Figur auf einer dieser viktorianischen Studien aus. Gedanken an die Sterblichkeit in einem englischen Garten.«
»Ich denke, man kann sie mir nachsehen – diese Gedanken«, erwiderte sie kühl. »Schließlich habe ich heute morgen einen Toten gefunden.«
»Tut mir leid – ein schlechter Scherz von mir. Verfehlter Versuch, die Zeugin zu beruhigen. Falls es Ihnen nichts ausmacht, würde ich Sie bitten, mir alles zu erzählen.«
Sie berichtete präzise und anschaulich. Wahrscheinlich hatte sie all das schon mit Pearce besprochen. Manchmal half es den Leuten, wenn man sie ihre Aussage wiederholen ließ, sie erinnerten sich dann an das oder jenes, das sie beim erstenmal vergessen hatten. Manchmal hatte es freilich auch die gegenteilige Wirkung, und sie faßten ihre Aussage nur kurz zusammen. Meredith schien sich sorgfältig zu überlegen, was sie sagte. Obwohl sie ihren Bericht nicht mit Ausrufen wie »Es war entsetzlich!« unterbrach und keineswegs hervorhob, wie aufgewühlt sie war, spürte er doch deutlich ihre tiefe Betroffenheit.
»Vielleicht könnten wir gemeinsam Ihren Weg dorthin noch einmal nachvollziehen?« schlug er freundlich vor.
»Nun gut. Ich kam von hier.« Sie ging ihm voran in eine immer dichter werdende Wildnis aus üppig wuchernden Sträuchern und halb verschwundenen Blumenbeeten, die seine Gärtnerseele beleidigten und ihn an die längst vergangenen Tage der Kindheit erinnerten.
»Was hat Sie hergeführt?« fragte er und runzelte beim Anblick von wild ins Kraut geschossenen Rosen und von Gartenstatuen, über die sich das Unterholz hergemacht hatte, die Stirn.
»Reine Neugier. Ich hatte zuvor noch keine Gelegenheit, mich außerhalb des Hauses richtig umzusehen.«
»Interessieren Sie sich für Gartenarbeit?« Er war verblüfft über den hoffnungsvollen Unterton in seiner Stimme und versuchte davon abzulenken, indem er die Stirn in ernste Falten legte und mit dem Finger Efeu von einem zerbrochenen Stück
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