Mord ist aller Laster Anfang: Ein Mitchell & Markby Roman
ordentlich, aber heute – ja, es war schlimmer. Auf dem Boden haben Bücher gelegen … Ich habe nichts angefaßt. Hab mich nur nach einem Telefon umgesehen.« Sie holte tief Atem. »Hören Sie, hegen Sie etwa einen bestimmten Verdacht?«
»Ich bin immer mißtrauisch. Gesunde junge Männer fallen nicht einfach tot um.«
»So gesund war er gar nicht. Gestern hatte er Magenbeschwerden.« Ihr Gesicht nahm einen trotzigen Ausdruck an. »Könnte es Selbstmord gewesen sein?«
»Selbstmord?« rief Markby verblüfft. »Und wie erklären Sie sich, daß ihm schon vorher ein paarmal übel war? Sollen das Versuchballons gewesen sein?«
»Was weiß ich«, erwiderte sie heftig. »Es ist nur – die Alternative ist Mord, nicht wahr? Ich habe das Cottage nicht auf den Kopf gestellt, aber irgend jemand hat es getan.«
»Ja, sieht ganz so aus. Der Eindringling hatte es eilig, wurde vielleicht gestört, mußte rasch verschwinden und wahrscheinlich mit leeren Händen. Wer immer es war, er hat möglicherweise das Cottage durchsucht, während Sie durch den Garten zu dieser Tür hier gingen. Sie überquerten das Gäßchen und betraten das Atelier. Der Eindringling hat Sie durchs Küchenfenster gesehen und ist abgehauen.« Er runzelte die Stirn. »Aber das ist reine Spekulation. Und es ist zu früh, um von Mord zu sprechen.«
Sie machten kehrt und schlenderten durch den Garten zurück. Der neuerliche Anblick des Wildwuchses um sie herum entlockte ihm den Ausruf: »Wie gern würde ich mich um diesen Garten kümmern! Ich erinnere mich noch daran, wie gepflegt er früher war. Mein Onkel hatte einen Gärtner, der ganztags hier arbeitete, und wehe denen – das galt insbesondere einem kleinen Jungen –, die auch nur einen Zweig abbrachen. Es wäre eine richtig schöne Aufgabe, die alte Pracht wieder aufleben zu lassen. Na hallo, das ist ja ein interessantes Pflänzchen.«
Er bückte sich so plötzlich, daß sie beinahe über ihn gefallen wäre. »Was ist das?« fragte sie. »Ich dachte vorhin, es sei ein Krokus, der zur falschen Jahreszeit blüht.«
»Nein, das ist kein Krokus, es ist eine Herbstzeitlose. Sie ist überhaupt nicht mit dem Krokus verwandt, trotz einer oberflächlichen Ähnlichkeit. Manchmal nennt man sie auch Herbstkrokus oder Wiesensafran oder Nackte Damen – der letzte Name kommt daher, weil zuerst ihre Blüten durchbrechen und die Blätter später kommen.« Er nahm einen Kugelschreiber aus der Tasche und schob damit vorsichtig eines der Blütenblätter zur Seite. »Sehen Sie die Staubgefäße? Es sind sechs. Der Krokus hat drei. Oh, und diese Pflanze ist giftig, der Krokus nicht.«
Er richtete sich auf, und diesmal prallte er fast mit dem Hinterkopf gegen ihre Nase; sie hatte ihm über die Schulter geschaut. Er entschuldigte sich.
Vorsichtig ging sie um ihn herum und musterte die Pflanze mit mißtrauischen Blicken. »Diese kleine Blume?«
»In allen Teilen. Und es ist nicht die einzige verbreitete Gartenblume, die giftig ist. Der Fingerhut ist es, der Rittersporn, auch die Pfingstrose. Ein Garten ist ein potentiell sehr gefährlicher Ort.«
»Aber dazu müßte man sie essen«, wandte sie ein. »Und wer verspeist schon Pfingstrosen und Rittersporn?«
»Manchmal läßt man Herbstzeitlosen da wachsen, wo Tiere weiden; die fressen sie dann und werden krank. Bei Molkereikühen ist es schon passiert, daß das Gift in die Milch kam und jeder erkrankt ist, der davon getrunken hat. Kinder essen manchmal Blumen, Butterblumen zum Beispiel, und werden sehr krank davon. Kräuterheilkundige benutzen diese Pflanzen als Medizin, müssen aber dabei mit der Dosis sehr vorsichtig sein. Die Herbstzeitlose wurde bei der Behandlung von Leukämie eingesetzt – und gegen Gicht, glaube ich. Die Chinesen verwenden die Pfingstrose häufig in Kräuterarzneien. Ich würde allerdings keinem Laien raten, da herumzuprobieren.«
Sie runzelte die Stirn und antwortete nicht. Sie waren beim Haus angelangt. »Wollen Sie mit Eve und Sara sprechen?« fragte sie und blieb vor den Stufen zur Haustür stehen. »Sie sind beide sehr erregt. Ich glaube nicht, daß sie Ihnen etwas sagen können.«
»Ich will sie jetzt nicht behelligen«, sagte Markby. »Aber später komme ich vielleicht wieder.« Er merkte, daß sie sehr blaß war, und fügte mitfühlend hinzu: »Ich an Ihrer Stelle würde jetzt hineingehen und mir einen starken Whisky genehmigen.«
»Mag keinen Whisky«, sagte sie mit einer leichten Grimasse und schenkte ihm ein überraschend anziehendes Lächeln.
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