Mord ist aller Laster Anfang: Ein Mitchell & Markby Roman
bist, es gibt noch etwas, über das du nachdenken solltest. Du bist neunzehn und kein Kind mehr. Erwarte nicht von den Menschen, daß sie dich so behandeln wie damals, als du noch ein lispelnder Winzling warst. Sie werden es nämlich nicht tun. Sie erwarten von dir, daß du Verantwortung übernimmst und selbst deine Entscheidungen triffst. Ich denke, mit dem Kleid hast du recht, aber du hättest nicht hinter dem Rücken deiner Mutter zur Schneiderin gehen sollen. Schließlich bezahlt sie es. Erklär ihr höflich, aber bestimmt, was du für Vorstellungen hast. Und ich möchte, daß du noch einmal darüber nachdenkst, ob du nicht doch mit Alan Markby reden solltest – und mit mir.«
Das hübsche, stupsnasige Gesicht ihres Patenkindes, umrahmt von langem hellem Haar, erinnerte Meredith an einen eigensinnigen Pekinesen. Sie kurbelte das Fenster herauf und ließ den Motor an. Es war ein langer Vormittag gewesen, und genug war genug.
KAPITEL 8 »Oh, tut mir leid, Mrs. Yewell«, entschuldigte sich Meredith, als sie den Salon betrat, wo die Haushaltshilfe grimmig auf die Sofakissen einschlug. »Ich wußte nicht, daß Sie noch hier drin sind – ich bin es gewohnt, Sie singen zu hören.«
»Singen!« rief Mrs. Yewell mit dumpfer Stimme. »Als ob man jemals wieder eine einzige Note singen könnte!«
»Ist etwas passiert?« fragte Meredith vorsichtig und schaute angespannt zu ihr hinüber.
Mrs. Yewell hob das gerötete, verquollene Gesicht und preßte ein Kissen auf das vordere Teil ihres bereits gut gefüllten orangefarbenen Overalls. »Wie soll man denn noch singen? Mit dieser ganzen Schande und den schrecklichen Sachen, die man so redet. Und alles Lügen, bösartige Lügen, jedes Wort davon!« Sie geriet sichtlich immer mehr in Rage, während sie sprach, und das runde Gesicht glühte vor Erregung.
»Wer hat was gesagt, Mrs. Yewell?« fragte Meredith nüchtern.
»Lügen!« wiederholte Mrs. Yewell heftig. »Wenn man sich vorstellt, daß ich mein Leben lang in diesem Dorf gewohnt habe. Hier geboren und aufgewachsen bin, und Walter, er auch … Gehen Sie auf den Friedhof hinüber, dann sehen Sie, wie viele Yewells dort begraben sind, los, gehen Sie!« befahl sie, als habe Meredith irgendwelche Einwände gemacht.
»Ja, das ist mir tatsächlich aufgefallen«, warf Meredith schnell ein.
»Ah!« sagte Mrs. Yewell und schien ein wenig besänftigt. »Wir und die Stouts sind die ältesten Familien im Dorf, und von den Stouts ist keiner mehr übrig außer dem alten Fred und Myrtle, die mit Harry Linnet vom ›Dun Cow‹ verheiratet ist. Sie war eine Stout. Der letzte Stout, der fortging, war der junge Trevor, als er geheiratet und einen Job in der Buswerkstatt in Bamford bekommen hat. Konnte hier kein gemeindeeigenes Haus kriegen und konnte natürlich auch keins kaufen, bei diesen Preisen. Bleiben wir Yewells übrig, und wir hatten immer einen guten Namen. Großvater war Küster bei Reverend Markby. Dad war im letzten Krieg Luftschutzwart. Nicht, daß wir Luftangriffe hatten, keine richtigen jedenfalls. Aber wegen dem Flugplatz in Cherton hat er mit dem Fahrrad rumfahren müssen, für den Fall, daß jemand nicht richtig verdunkelt hatte und man ein Licht sah. Lauter Amis waren in Cherton drüben. Sind immer ins ›Dun Cow‹ gekommen.«
»Mrs. Yewell«, unterbrach Meredith sie ungeduldig, »das ist ja alles gut und schön, aber was ist eigentlich passiert, daß Sie so aufgeregt sind? Doch gewiß keine amerikanischen Kampfpiloten im ›Dun Cow‹?«
»Aufgeregt? Und ob ich aufgeregt bin!« entgegnete Mrs. Yewell heftig. »Es ist, weil – was die Leute über Onkel Bert reden, und alles wegen dem Mord da. Schreckliche Sache ist das. So was hatten wir in den alten Tagen nie, als nur lauter Einheimische hier lebten! Wir haben uns gegenseitig nicht umgebracht. Ein paar Jungs haben sich am Samstag nach der Sperrstunde vorm ›Dun Cow‹ vielleicht ein bißchen geprügelt, aber damit hatte es sich. Sie haben nicht gemordet und vergiftet. Und Onkel Bert, er hat nie und nimmer was damit zu tun.« Meredith erkannte jetzt, daß Mrs. Yewells Geschwätz mit all den weitschweifigen Erinnerungen nichts anderes war als die verzweifelte Suche einer verängstigten und ungebildeten Person nach einer verlorenen Sicherheit.
Sie musterte die Frau nachdenklich. Mrs. Yewell bedachte sie mit einem unendlich hoheitsvollen Blick und schleuderte das Kissen auf das Sofa wie eine Juno, die sich einen der Blitze ihres Gemahls ausgeliehen hat.
»Wer klatscht, Mrs.
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