Mord ist auch eine Lösung
erklären, warum das überhaupt getan wurde?«
Seine Gesichtszüge erstarrten. Sie konnte beinahe sehen, wie in seinem Kopf die Rädchen wie in einem rostigen Uhrwerk surrten, während er sich das Hirn nach einer logischen – wenn auch nicht notwendigerweise wahren – Erklärung zermarterte.
»Das muss ein Versehen sein. Davon weiß ich nichts.«
»Kennen Sie Miss Camper-Young?«
»Ich bin mir nicht sicher.«
Machte er Witze? Jetzt hatte er endgültig die Trennlinie zwischen einer lahmen Entschuldigung und einer unverhohlenen Lüge überschritten.
»Mr. Parrot! Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«
Sie verengte ihre Augen zu schmalen Schlitzen und zügelte ihren Sarkasmus nicht mehr. »Die fragliche Dame wohnt im Lobelia Cottage genau gegenüber. Das kann Ihnen doch unmöglich entgangen sein. Es ist ein großes Haus, sehr alt, stammt wahrscheinlich noch aus der Zeit, als Bonnie Prince Charlie 4 ein kleiner Junge war. Lobelien wuchern über die ganze Gartenmauer. Daher der Name. Und es liegt direkt gegenüber dem Hauptportal Ihres Hotels. Das müssen Sie bemerkt haben. Schauen Sie doch mal hin?« Sie ging zum Fenster und deutete auf die Stelle, wo die mit Kies bestreute Auffahrt im großen Bogen durch das Haupttor führte. Der Schornstein des Cottages war klar und deutlich zu sehen, zwischen dem geschwungenen schmiedeeisernen Gitter des Hotelportals und der Hinterseite des Wappenschildes der Familie Shaddick, die vor vielen Jahrhunderten das große Haus erbaut hatte. Das eiserne Gitter war erst später von einem ihrer Nachkommen hinzugefügt worden.
|148| Honeys Haltung und der veränderte Tonfall waren nicht unbemerkt geblieben.
»Ah ja«, antwortete Parrot bedächtig, und sein verkniffener Mund entspannte sich ein wenig. »Das war natürlich keiner von unseren Leuten. Das war sicher Vandalismus, werden Sie feststellen. Teenager, die nichts als Ärger machen wollen, denke ich mal. Ab und zu haben wir auch Probleme mit so was, obwohl wir mehr als drei Meilen vom Stadtzentrum entfernt sind.«
Das war völliger Blödsinn. Honey wollte genau das gerade sagen, als ihr einfiel, dass sie besser eine kühle professionelle Haltung wahren sollte. Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Mr. Parrot. Miss Camper-Young hat noch die letzte CD mit Bildern von den Kameras. Die beiden Männer darauf sind ganz eindeutig keine Teenager. Sie schwört, dass es zwei Ihrer Angestellten sind.«
»Können Sie das beweisen?«
Honey zog die Aufzeichnung aus der Tasche, die Cybil ihr gegeben hatte, und klatschte sie auf den Schreibtisch. »Wollen wir es uns einmal ansehen?«
Er starrte sie grimmig an, ehe er sich die CD vom Tisch schnappte. Ohne einen Kommentar schritt er durch den Raum zu einer auf einem Gestell montierten Anlage mit DVD-Spieler und Bildschirm, legte die CD ein und trat einen Schritt zurück. Ein verschwommenes Bild erschien auf dem Monitor. Zwei Gorillas mit breiten Schultern und sehr kurzem Bürstenhaarschnitt kamen ins Bild. Der eine trug deutlich sichtbar einen Seitenschneider. Die frechen Kerle hatten sogar eine Stehleiter mitgebracht. Der eine stellte sie auf. Sein Kumpel stieg hinauf, hob den Seitenschneider, und dann wurde der Bildschirm dunkel.
»Das sind keine Teenager«, sagte Honey, und ihr Tonfall erinnerte an den eines Fernseh-Polizisten, der gleich jemanden verhaften wird. Die Polizisten im Fernsehen waren nur Schauspieler. Honey auch. Der böse Blick, den sie dem Manager zuwarf, war bedeutungsschwanger. Sag mir die |149| Wahrheit, oder ich nehme dich mit auf die Hauptwache in der Stadt und prügele sie aus dir heraus. Das ging natürlich nicht, aber es konnte ja nicht schaden, wenn sie ein bisschen dick auftrug.
»Ich nehme an, das sind Ihre Angestellten?«
Er zwinkerte. Zwinkern war immer ein Zeichen dafür, dass etwas ins Rutschen gekommen war. Sie hatte keine Ahnung, woher sie das wusste, aber der Gedanke gefiel ihr. Halleluja! Sie hatte ihn in die Ecke gedrängt. Das wussten sie beide. Würde er jetzt endlich die Wahrheit sagen oder nicht?
»Ja, tatsächlich«, meinte er mit einem knappen Nicken. »Ich erinnere mich an sie. Das war Zeitpersonal.«
Sie musste sich redlich Mühe geben, nicht in Triumphgeheul auszubrechen, begnügte sich aber mit einem höchst zufriedenen, strahlenden Lächeln.
»Ah! Dann kann ich vielleicht mit den Herren reden, wenn es nicht zu viele Umstände macht.«
Mit selbstzufriedener Miene wartete sie darauf, dass Mr. Parrot irgendeine Entschuldigung krächzen würde.
Weitere Kostenlose Bücher