Mord ist auch eine Lösung
fielen heraus, flatterten wie Schmetterlinge, die auf ein halbes Dutzend Farbkarten aufgespießt waren. Ein Musterbuch nach dem anderen rutschte ihm aus der Hand. Er wirkte völlig gestresst und verstört. Man hätte ihn gar nicht frei draußen rumlaufen lassen sollen. Sein Hemd war strahlend orange. Honey konnte sich denken, wer das war. Der neue Innenarchitekt. Keith Richardson Smythe.
Honey schaute noch einen Augenblick lang auf das elegante Herrenhaus. Die Steine waren altersdunkel, doch die in Blei gefassten Fensterscheiben glitzerten jedes Mal wie Diamanten, wenn Honey den Kopf bewegte. Philippe hatte dieses Haus bestimmt geliebt, überlegte sie. Er hatte manchmal behauptet, im falschen Jahrhundert geboren zu sein. »Ich hätte lieber in irgendeiner Zeit vor dem Tod von Königin Viktoria gelebt, Liebchen«, hatte er mit einem lässigen Wedeln seiner schmalen Hände gesagt. »Aber am liebsten in der Epoche von Elisabeth I. Ich glaube, so ein Wams und eine enganliegende Hose hätten mir super gestanden, meinst du nicht, Schätzchen? Bei meinen Waden?«
Während er die Hände in die schlanke Taille stützte, hatte er eine kleine Pirouette gedreht und den feinen Kopf nach hinten geworfen. Er hatte natürlich recht. Er hätte einen sehr schicken elisabethanischen Edelmann abgegeben – ohne das wasserstoffblonde Haar natürlich, und auch seine dunkle Hautfarbe hätte vielleicht damals einiges Stirnrunzeln hervorgerufen.
Honey wurde ganz traurig, wenn sie daran dachte, wie er gestorben war. Sie ging in Gedanken noch einmal die Liste der Verdächtigen durch.
Camilla Boylan natürlich. Die hatte einiges zu gewinnen, vor allem geschäftlich. Julia? Es schien, als hätte sie auch etwas erben können, obwohl die Tatsache, dass Philippe gestorben |178| war, ehe er irgendetwas schriftlich hatte bestätigen können, einen an ihrer Schuld ein wenig zweifeln ließ. Kein Wunder, dass die beiden Mädels wie Hund und Katze waren.
Und was war mit diesem neuen Innenarchitekten? Hatte der vielleicht Philippe aus dem Weg geräumt, weil er hoffte, dann den Auftrag zu bekommen? Das war immerhin möglich, aber sie konnte ihn im Augenblick noch nicht ihrer Liste hinzufügen. Er war noch ziemlich neu auf dem Plan. Da musste sie sich erst einmal erkundigen.
Der nächste Verdächtige war Ferdinand Olsen. Der hatte im Projektausschuss viel zu sagen und zu Hause einige Probleme. Ehemänner mit Problemen konnten von einer Minute zur anderen ausrasten.
Joybell Peters andererseits schien recht hartgesotten zu sein. Sie saß im Management-Ausschuss und hatte kein gutes Haar an Philippe gelassen. Außerdem hatte sie ein Verhältnis mit Ferdinand Olsen gehabt. Was allerdings bei seinem tollen Piratenaussehen mehr als verständlich war.
Als Honey sich an die exotischen dunklen Augen, die schmale Statur und die wallenden Locken erinnerte, fiel ihr auch wieder ein, wie überrascht sie bei ihrer ersten Begegnung gewesen war. Erste Eindrücke zählten, und ihre unmittelbare Reaktion war gewesen: Was zum Teufel macht jemand, der so romantisch aussieht, mit einer Frau wie Deirdre?
Sie rief sich ins Gedächtnis, dass jüngere Männer sich oft zu älteren Frauen hingezogen fühlten. Manche fanden ja eine erfahrenere Frau interessanter. Außerdem waren die älteren Damen meist reicher. Wieder das liebe Geld, überlegte Honey und schüttelte den Kopf. Lief es wirklich immer wieder nur darauf hinaus?
»Um die Ecke denken«, mahnte sie sich. »Wen hätten wir da noch?«
Zunächst einmal wäre da der Kellner, der zur Zeit des Mordes verschwunden war. Den konnte man nicht außer |179| Acht lassen. Niemand lief einfach so fort. Er musste vor irgendetwas geflohen sein. Aloysius Rodriguez war wie vom Erdboden verschluckt. Er stammte aus Portugal, aber sogar mit der Hilfe von Interpol hatte man ihn bisher auch dort nicht aufspüren können. Welches Motiv hätte er haben können, um Philippe umzubringen? Es sei denn, es war ein sexuelles Motiv – eine schwule Affäre, die Aloysius vor seiner Frau geheim halten wollte?
Der Regen und eine steife Brise peitschten die Büsche und Bäume hin und her, die den Parkplatz vom Hauptgebäude des Hotels und der Straße abschirmten. Einen Moment lang glaubte sie, sie hätte aus dem Gestrüpp eine Hand winken sehen. Sie schaute etwas schärfer hin, wurde aber durch Mr. Parrot abgelenkt, der zusammen mit einem anderen Mann die Treppe herunterkam. Die beiden schienen sich zu streiten – vielmehr sah es aus, als hielte
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