Mord ist auch eine Lösung
verletzt?«
Er hielt sie mit beiden Händen aufrecht, hatte einen Arm hinten um sie herumgelegt, sodass er sie an beiden Ellbogen festhielt. Seine Hände waren ganz warm. Seine Stimme auch. Ebenso gut hätte er fragen können: »Mademoiselle, möchten Sie mit mir ins Bett gehen?«
»Ja«, würgte Honey hervor, bis sie begriff, dass sie die imaginäre Frage beantwortet hatte. »Nein!«, korrigierte sie sich. »Es geht mir gut. Wirklich.«
»Sind Sie da ganz sicher? Ich wäre untröstlich, wenn Sie körperlich versehrt worden wären, nur weil meine Studenten es so eilig hatten, zur Abbey zu gelangen.«
»Das ist nett!« Ihre Stimme zitterte mit ihren Knien um die Wette. Diese Stimme! Konnte man so was irgendwo bestellen? Sie hätte gern eine, am liebsten auf CD, damit sie sich die die ganze Nacht lang vorspielen konnte.
|243| »Möchten Sie mit uns auf einen Rundgang durch die Abbey kommen? Ich gehe davon aus, dass Sie eine Einwohnerin dieses Ortes sind, Mademoiselle, sodass Ihr Wissen für uns sehr nützlich wäre. Sie wären herzlich willkommen.«
Diese Frage kam ganz unerwartet und brachte sie vollends aus dem Tritt. Sie merkte, dass ihr der Mund sperrangelweit offen stand. Sie kriegte keinen Ton heraus und musste nach Luft schnappen. Während sie durchatmete, nutzte sie die Gelegenheit, noch ein paar weitere angenehme Details an dem Mann zu registrieren. Sein Haar war dicht und dunkel, mit ein paar grauen Strähnen an den Schläfen. Er hatte kleine Lachfältchen in den Augenwinkeln. Sein Mund war breit und sinnlich – und seine Lippen bewegten sich schon wieder. Der Mann sagte etwas. Honey versuchte, ihre fünf Sinne in die richtige Reihenfolge zu ordnen. Sie zwang sich, ihm zuzuhören.
»Dort ist ein Konzert. Bach«, sagte er.
Das Letzte, was sie heute geplant hatte, war, ihre Mittagszeit in der Bath Abbey zu verbringen und einem Bach-Konzert zu lauschen.
»Ja«, antwortete sie, nachdem ihr Körper ihren gesunden Menschenverstand überstimmt hatte. »Sehr gern.«
Er nahm sie beim Arm. Was für ein Gentleman!
In der Abbey herrschte eine gedämpfte Atmosphäre. Die Orgel spielte leise. Sie fragte sich: Was zum Teufel mache ich hier eigentlich? Doch es stellte sich heraus, dass es genau die richtige Idee gewesen war. Musik zu hören, das half ihr, sich darauf zu konzentrieren, was jetzt zu tun war. Außerdem war es ziemlich angenehm, hier Bein an Bein mit Jean-Claude zu sitzen. So hieß er, Jean-Claude. Und im Gegensatz zum ersten Eindruck, den sie gehabt hatte, war er nicht gekommen, um sich Musik anzuhören. Er unterrichtete an einer Hochschule in Lyon Architektur und war mit seinen Studenten in Bath, um mit ihnen die schönen Gebäude der Stadt zu studieren. Gleichzeitig nahm er an einem Workshop über Innenarchitektur teil. Das Konzert und ihre Bereitschaft, |244| ihn zu begleiten, waren eine willkommene Zugabe.
Der Workshop über Innenarchitektur erregte Honeys Aufmerksamkeit. Sie erkundigte sich nach den Tutoren. Es stellte sich heraus, dass es Julia und Camilla waren. Jean-Claude erklärte ihr, eigentlich hätte es Philippe Fabiere sein sollen, aber der hätte einen Unfall gehabt.
»Wir hätten lieber einen Franzosen gehabt. Der hätte uns wahrscheinlich mehr vermitteln können. Wir hätten die Stadt und ihre Inneneinrichtungen durch sehr privilegierte Augen betrachten können. Philippe Fabiere wäre ideal gewesen.«
Honey korrigierte seinen Irrtum nicht. Was immer Philippe ihm auf die Nase gebunden hatte, es ging sie nichts an. Sie erzählte ihm auch nicht, dass Philippes »Unfall« absolut kein Unfall und außerdem tödlich gewesen war.
Nach dem Konzert fragte Jean-Claude sie, ob sie gern mit ihnen ins Café Rouge kommen würde.
»Gestatten Sie mir, Ihnen dort etwas zu empfehlen, das ein Leuchten auf Ihr Gesicht zaubern würde.«
»Wie gern würde ich mir von Ihnen ein Leuchten aufs Gesicht zaubern lassen!«
Das erledigten bereits seine Stimme und seine warmen braunen Augen. Sie war sehr in Versuchung, sich der Gruppe anzuschließen. Sie wollte mehr über den Workshop hören, den er besuchte. Andererseits war sie auch erpicht darauf, noch ein bisschen in St. Margaret’s Court und bei den Olsens herumzuschnüffeln. Zumindest waren die Jungs von der Spurensicherung inzwischen dort mehr oder weniger fertig.
Es war schwierig, wirklich schwierig, aber sie musste das mit dem Franzosen auf ein andermal verschieben.
»Also«, antwortete sie und konnte kaum glauben, dass sie es sagte, »ich muss
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