Mord mit kleinen Fehlern
habe sie belästigt, bei einem Seminar, das beide in Wyndham besuchten. Gil dagegen sagt, sie ist nur sauer, weil sie keine Gehaltserhöhung bekommen hat, und wir können das durch ihre E-Mails dokumentieren. Leg sie auf die Einzelheiten fest, damit wir ihre Aussage vor Gericht einkalkulieren können.«
»Schon verstanden. Das sollte nicht lange dauern.«Mary ging um ihren Schreibtisch herum und sammelte ihre Notizen und Unterlagen ein. »Du kannst alles benutzen, was hier im Büro ist, aber geh nicht vor die Tür. Zumindest nicht, solange die Zeugenaussage läuft.«
»Gut.« Bennie blieb vor der Tür stehen, die Hand auf dem Griff. »Noch eine Sache. Du solltest wissen, dass ich gestern Nacht mit Gil gesprochen habe. Natürlich war er durch den Mord an dir sehr durcheinander, ebenso wie seine Frau. Wie willst du damit umgehen? Willst du sie wissen lassen, dass du am Leben bist?«
»Das wollte ich. Ich vertraue Gil. Er wird es vertraulich behandeln.« Anne spürte, wie sich Judys Blicke in ihren Rücken bohrten. Was hatte sie doch gleich gesagt? Gil Martin hätte Anne niemals beauftragt, wenn sie nicht so ausgesehen hätte, wie sie aussah.
»Darf ich einen Vorschlag machen?«, sagte Bennie.
»Warum wartest du nicht erst mal ab, bevor du es deinem Mandanten erzählst? Du solltest dich zunächst bedeckt halten. Lassen wir Gil doch noch in dem Glauben, dass ich den Fall übernommen hätte. Denk mal darüber nach!« Bennie öffnete die Tür und ließ Mary hinaus. »Und denk auch noch mal über Willa nach, okay? Wir müssen mit ihrer Familie reden. Und ich bin immer noch nicht davon überzeugt, dass nicht vielleicht sie das Ziel war. Lass dir das durch den Kopf gehen. Mir zuliebe.«
Verdammt. Sie hatte Bennie also nicht überzeugen können. Als sich die Bürotür schloss und nur noch Judy und sie in dem kleinen, aufgeräumten Büro waren, fühlte sich Anne wie besiegt. Sie sahen einander kurz an und wandten rasch ihre Blicke ab. Sie mochten sich einfach nicht. Anne wusste nicht, was sie sagen sollte. Wenn ich nicht über Lippenstift sprechen kann, habe ich partout kein Gesprächsthema.
»Danke, dass du mich bei Bennie unterstützt hast«, sagte Anne schließlich, weil das gesagt werden musste.
»Kein Problem.«
Okay, jetzt zieh Leine. »Du musst nicht hier bei mir bleiben, Judy. Es geht mir gut, und du hast wahrscheinlich viel zu tun.«
»Nein, alles erledigt. Meine Fälle sind sauber und los. Außerdem ist Sommer. «
»Warum bleibst du dann im Büro? Wahrscheinlich hast du am Feiertag Besseres zu tun. Du hast doch einen Freund, oder nicht? «
»Ja, Frank Lucia. Seit dem Lucia-Fall. Du bist ihm mal begegnet, erinnerst du dich? «
Nein. »Klar.«
»Er ist übers Wochenende zum Angeln gefahren. Ich wollte zu Hause malen, als das hier passiert ist. Jetzt bleibe ich eben hier und leiste dir Gesellschaft. «
Verschwinde ! »Wi e du möchtest. «
Im Büro wurde es still, bis auf den Medienrummel unten auf der Straße. Das Fenster ging auf die Locust Street, und Judy zeigte darauf. »Ziemlich laut da draußen«, sagte sie.
»Reporter. «
»Lass uns Wasserballone runterwerfen.« Judy ging ans Fenster, während Anne sich zurückhielt. Es machte sie verrückt, dass Judy versuchte, nett zu ihr zu sein. Mentale Notiz: Manche Gefühle ergeben einfach keinen Sinn.
Jetzt drehte Judy sich um und winkte sie zu sich. »Komm her, sieh dir das an. Es ist wie im Zoo!«
Anne ging zu der Milchglasscheibe und sah hinaus. Ein Meer an Menschen wog vor dem Gebäude, noch viel größer als zuvor. Reporter mit Mikrofonen, Diktiergeräten und Notizblöcken sowie Fotografen mit Videokameras, Digitalkameras und Scheinwerfern. Ein Hotdog-Verkäufer mit einem rot gestreiften Schirm und ein schwarzer Junge, der Flugblätter verteilte. Anne zählte drei Uncle-Sams und einen Streifenbeamten.
Sie blinzelte im Sonnenlicht, hielt nach Kevin Ausschau. Anne wünschte, sie könnte sich jetzt sofort auf die Suche nach ihm machen. Er konnte da unten sein. Das würde einen Sinn ergeben. Der Tag verrann. Das Wochenende verrann. Sie hatte schon genug Lebenszeit an dieses Arschloch verloren. Und er ,hatte Willa getötet. Anne musste ihn finden. Er sollte für alles bezahlen, und sie wollte endlich wieder in Sicherheit leben.
»Du glaubst, er ist da unten, nicht wahr?«, fragte Judy, als ob sie Annes Gedanken lesen könnte, was Anne verärgerte.
»Ja.«
»Wie sieht er aus?«
»Warum?«
»Ich habe auch Augen. Zwei Augenpaare sehen mehr als
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